Das Erbe des Alchimisten
weiter«, fährt Mr. Hawkins mich an.
»Ich sage die Wahrheit«, entgegne ich ruhig.
Jetzt mischt sich auch Mrs. Hawkins ein: »Warum hat diese Person meinen Jungen getötet?«
»Sie wollte mich zwingen, ihr den Aufenthaltsort eines neugeborenen Babys zu nennen. Die Person, die Ihren Sohn ermordet hat, ist von dem Gedanken besessen, dieses Kind zu finden. Sie würde alles dafür tun. Aber ich habe mich geweigert, ihr die nötigen Informationen zu geben, also hat sie Eric getötet.« Ich zögere. »Ich weiß, daß nichts davon Bedeutung für Sie hat. Daß nichts davon einen Sinn für Sie ergibt. Aber ich möchte, daß Sie wissen, daß ich diese junge Frau suchen werde, nachdem ich Ihr Haus verlassen habe – und daß ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um sie aufzuhalten. Ich weiß, daß Sie Rache für das wollen, was Ihrem Sohn geschehen ist, oder zumindest Gerechtigkeit. Ich werde versuchen, beides zu erreichen – und die Person davon abzuhalten, weiterzumorden.« Damit erhebe ich mich unvermittelt. »Ich muß gehen.«
»Sie gehen nirgendwohin!« ruft Mr. Hawkins aus und versucht, sich zu erheben. Doch mit nur einer Hand drücke ich ihn mühelos auf seinen Stuhl zurück. Meine Stärke verblüfft ihn.
»Bitte«, sage ich sanft, »Sie können mich nicht aufhalten. Es ist nicht möglich. Und Sie können mir auch nicht folgen. Denken Sie daran, wie tapfer Ihr Sohn war, und daß Kräfte, gegen die wir nichts auszurichten vermögen, sein Leben vorzeitig beendet haben. Versuchen Sie seinen Tod als Teil des göttlichen Willens zu sehen. Ich versuche das ebenfalls.«
Ich verlasse sie schnell. Sie haben kaum eine Gelegenheit zu reagieren, und sie werden sich später fragen, ob ich wirklich da war oder sie nur geträumt haben. Aber ich weiß, daß sie die Polizei alarmieren und danach sofort zu der genannten Adresse gehen werden. Ich weiß, daß sie ihren toten Sohn sehen werden, bevor jemand anderer ihn sieht. Sie haben ihn über alles geliebt, daher sollten sie diejenigen sein, die seine Augen schließen.
Mein Wagen steht nur einen Block entfernt. Wenig später sitze ich hinter dem Lenkrad und fahre Richtung Ozean. Ich habe eine Verabredung mit dem Schicksal – und mit meiner Tochter. Ich weiß nicht, wem von beiden ich weniger vertraue.
20.
Kapitel
Die Verwandlung hat funktioniert; ich bin tatsächlich wieder ein Vampir. Doch in vielerlei Hinsicht bin ich anders als zuvor. Es war vor allem Yakshas Blut, das die Sonnenstrahlen auf mich gefiltert hat, und vermutlich ist das der Hauptgrund für meine größeren Kräfte. Vorher konnte ich fünfzig Fuß hoch springen, jetzt sind es hundert. Vorher konnte ich ein Blatt in einer Meile Entfernung vom Baum fallen hören, jetzt kann ich hören, wenn eine Ameise in doppelter Entfernung über den Boden krabbelt. Mein verbesserter Geruchssinn ist ein einziges Wunder für mich; die Nachtluft bietet mir ein riesiges Potpourri duftender Informationen. Meine Augen sind wie Laser. Nicht nur, daß ich viel weiter sehen kann als zuvor, ich spüre auch das Feuer in meinem Blick, und ich bezweifle ernsthaft, daß Kalika dieser Macht widerstehen kann.
Doch die Veränderungen erstrecken sich nicht nur auf meine Stärke und meine Macht. Etwas anderes ist in mein Leben getreten, etwas, das ich bisher noch nicht kannte. Ich weiß nicht, wie ich es nennen soll. Ich fühle einfach, daß ich Glück haben werde, daß das Schicksal es gut mit mir meint. Ein weißer Stern scheint über mir für mich zu funkeln, oder vielleicht ist es auch ein blauer. Ich frage mich, ob dieses kleine Wunder mit der Ingredienz zu tun hat, die ich Yakshas Blut hinzugefügt habe.
Ich bin voller Vertrauen und Zuversicht, als ich in Richtung Pier rase. Santa Monica Beach, an dem der Pier liegt, ist verlassen, als ich ankomme. Ich finde das merkwürdig; schließlich ist es gerade zehn Uhr abends. Der Abend ist kalt, gewiß, aber ich frage mich, ob da nicht noch eine andere Kraft am Werk ist, die alles beeinflußt. Es ist fast, als ob eine magische Wolke über der Gegend hängt, ein Nebel des Schicksals, der alles lenkt. Ich spüre diese Kraft, und mein Zutrauen schwindet. Denn es kann nur meine Tochter sein, die das alles erschaffen hat – etwas erschaffen hat, wie ich es nie zuvor gesehen habe. Es scheint alles Leben ringsherum aufzusaugen; vermutlich ist der Ort deswegen so verlassen. Während ich meinen Wagen parke, sehe ich keine Menschenseele. Vielleicht sind sie alle zu Hause und erklären ihren Kindern,
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