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Das Erbe des Bösen

Das Erbe des Bösen

Titel: Das Erbe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Siegel verschlossen, mit echtem roten Siegelwachs, wie Erik es zuletzt irgendwann in seiner Kindheit auf den Papieren seiner Mutter gesehen hatte.
    Durch die Form und die Größe des Kuverts glaubte Erik den Inhalt zu erahnen, und nachdem er auch dieses Kuvert mit einer scharfen Bewegung aufgerissen hatte, erwies sich seine Vermutung als richtig.
    Eine altmodische Audiokassette.
    Erik schob die Hand ins Kuvert, weil er annahm, noch eine Art Begleitschreiben zu finden, aber da war nichts weiter.
    |384| Da war nur die TDK-9 0-Minuten -Kassette, auf deren Etikett ebenfalls stand: »Für Erik.«
    Erik eilte in die Küche.
    »Wo ist unser alter Kassettenrecorder?«, fragte er Katja.
    Olivia schaute neugierig auf die Kassette. »Was ist das?«
    »Steht der nicht im Kinderzimmer?«, meinte Katja zögernd.
    Erik war bereits an der Tür, als er Emils Stimme hörte: »Der ist doch kaputt. Die Bänder verwickeln sich immer.«
    »Großer Gott, wir werden doch wohl irgendwo einen funktionierenden Kassettenrecorder haben!«, rief Erik.
    »Du kannst sie dir ja im Auto anhören«, schlug Olivia fast schüchtern vor.
    Erik sah seine Tochter zärtlich an. »Gute Idee! Was habe ich doch für eine kluge Tochter!«
    Er fuhr der strahlenden Olivia durchs Haar und zwinkerte Emil zu. »Und du hast ja auch manchmal deine hellen Momente.«
    Emil wich Eriks Hand schnaubend aus, aber in seinem Gesicht sah man, dass sich der Junge über den unvermuteten Ausbruch von guter Laune bei seinem Vater freute.
    Katja folgte Erik in den Flur.
    »Willst du, dass wir sie uns gemeinsam anhören?«, fragte sie vorsichtig.
    »Nein. Ich werde sie mir erst allein anhören. Aber trotzdem danke.«
    Er küsste Katja auf die Wange, nahm die Autoschlüssel vom kleinen Tisch und ging nach draußen. Im Wind spürte man schon den Herbst, vom Regen hatten sich überall Pfützen gebildet. Erik setzte sich ins Auto, steckte den Schlüssel ins Zündschloss und holte tief Luft, während er die Kassette einlegte.
    Ohne zu zögern drückte er die PLA Y-Taste , lehnte sich im Sitz zurück und hörte dem Rauschen zu, das aus den Lautsprechern kam.
    Dann knackste es, und eine Stimme begann zu sprechen.
     
    »Erik . . . wenn du das hörst, bin ich also tot.«
     
    |385| Erik erschrak, als er die schmucklose Feststellung seines Vaters hörte. Aber warum sprach er englisch?
     
    »Wir haben heute den 8.   August 1998, es ist Abend . . .«
     
    Die Aufnahme klang gedämpft und fern. Erik beugte sich rasch nach vorn, um den Apparat lauter zu stellen.
     
    »Als erstes möchte ich dir sagen, dass du unermesslich viel Freude und Licht in mein Leben gebracht hast. Und gerade darum habe ich dir nicht alles sagen können. Ich konnte dir nicht von den Schattenseiten meines Lebens erzählen, die ich selbst am liebsten vergessen hätte. Es wäre für uns alle eine zu große Last gewesen.«
     
    Erik hörte, wie die Stimme seines Vaters brach, und musste mit den Tränen kämpfen.
     
    »Es tut mir zutiefst leid, dass ich nicht fähig war, mit dir zu reden, als ich noch lebte. Aber jetzt ist es für dich an der Zeit, alles zu erfahren. Ich hoffe und glaube, dass du keinem einzigen Menschen etwas davon erzählen wirst. Und dass du mit dieser Kassette das tust, was ich getan habe: dass du sie einem Anwalt übergibst, mit den gleichen Anweisungen, die ich gegeben habe. Emil und Olivia werden es später genau so tun. Und so weiter. Diese Dinge gehören auf keinen Fall in die Öffentlichkeit, aber man kann sie auch nicht vor den nachkommenden Generationen verschweigen und mit ins Grab nehmen. Ich habe beschlossen, diese Kassette auf Englisch zu besprechen, weil die Kinder von Emil und Olivia höchstwahrscheinlich kein Finnisch mehr lernen.«
     
    Erik lauschte so angestrengt den Worten seines Vaters, dass es fast schmerzte.
     
    |386|
»Als junger Mann war ich sehr ehrgeizigg, genau wie du. Wie viele andere Finnen bin ich zum Studium nach Deutschland gegangen. Das war damals durchaus üblich. Im August 1937 kam ich in die Abteilung für Physik des Kaiser-Wilhelm-Instituts in Berlin-Dahlem . . .«
     
    Der Vater erzählte nun von seinem Studium in Berlin, von der bahnbrechenden Entdeckung seiner Zeit – der Kernspaltung – sowie von seiner Doktorarbeit und der damit verbundenen Uranforschung. Er erzählte von Doktor Mayer, von seinem Freund Hans und von einer enormen Herausforderung: vom Bau der Atombombe. Im Endstadium des Krieges war er in die Raketenabteilung gewechselt, wo man versucht

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