Das Erbe des Bösen
gewesen. In Amerika sahen wir uns zum ersten Mal 1951 wieder. Schon damals in Huntsville ahnte ich, was kommen würde. Und richtig . . . Ich ließ mich auf ein Verhältnis mit Katharina ein, das viele Jahre andauerte.«
Erik starrte ungläubig auf den Kassettenrecorder. So etwas hätte er sich bei seinem Vater nie vorstellen können. Hätte es ihm jemand anders als der Vater selbst erzählt, er hätte es nicht geglaubt.
Saiid beobachtete die Finger von Parviz, als dieser im Licht der Tischlampe das Uranpulver in zwei gleich große Portionen teilte.
Es herrschte absolute Stille im Raum. Maleks Leiche war in die Plastikplane gewickelt und ins Nebenzimmer geschafft worden.
Mittlerweile war auch ein neuer Mann in der Wohnung erschienen, Abid, der Bruder von Parviz. Ihn hatten sie in den Plan eingeweiht, als Maleks Verrat entdeckt worden war. Abid war ehrgeizig, und er hatte einen einleuchtenden Vorschlag gemacht: |404| Warum sich mit einem Sprengsatz begnügen? Warum alle Eier in denselben Korb legen? Es gab gute Gründe, so zu verfahren, wie international üblich: eine Bombe hochgehen lassen, warten, bis Aufruhr entstand, und dann die zweite Bombe zünden. Das maximierte die Panik und das Chaos.
Und mindestens eine der beiden Bomben musste richtig groß sein. In der Praxis hieß das: eine Autobombe.
Abid war mit dem für diesen Zweck präparierten Wagen in Parviz’ Garage gefahren. Die Wahl des geeigneten Fahrzeugs war das Resultat langer Überlegungen gewesen. Es durfte kein normaler Pkw sein, denn sie würden ihn am Ende allein an einer auffälligen Stelle stehen lassen müssen. Eine Zeitlang hatten sie an ein Taxi gedacht, aber auch ein Taxi, das alleine und verlassen da stand, würde in dem mit Überwachungskameras gespickten Straßenabschnitt Aufmerksamkeit erregen.
Die Lösung hatte sich schließlich gefunden, als Abid den Explosionsort überprüft hatte. Dabei hatte er nämlich festgestellt, dass es einen Fahrzeugtyp gab, an den man in der Gegend gewöhnt war. Wenn so ein Fahrzeug leer am Straßenrand stand, weckte das niemandes Argwohn. Und so ein Fahrzeug hatte Abid besorgt.
Parviz füllte das in zwei Portionen geteilte Pulver wieder in Beutel ab. Rashid und Abid gingen in die Garage, um einen Teil der Beutel an der Autobombe zu befestigen, Saiid und Parviz konzentrierten sich auf die andere Bombe. Für diese hatten sie einen elektrischen Rollstuhl besorgt.
Die Bombe wurde in dem Hohlraum unter dem Sitz installiert, wo sich normalerweise die Batterie befand. Der Zünder, den Malek besorgt hatte, lag auf dem Tisch. An seiner Stelle hatten sie einen neuen Zünder angeschlossen, einen, der mit Sicherheit funktionierte. Anstelle der Originalbatterie hatten sie für den Antrieb des Rollstuhlmotors eine kleinere Motorradbatterie eingebaut, mit der das Gefährt nur einige hundert Meter weit kam.
Mehr war aber auch gar nicht nötig. Notfalls konnte man ja schieben.
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Erik saugte jedes Wort seines Vaters auf, jeden Laut. Die Straße, die ganze Welt außerhalb des Autos, war für ihn so weit weg wie ein anderer Planet.
»Warum ließ ich zu, dass sich das Verhältnis mit Katharina entwickelte? Ich weiß es bis heute nicht . . . Aber es war eine unsagbare Enttäuschung für mich, als Ingrid bei den Strahlungsforschungsprogrammen der Atomenergiekommission mitmachte. Dort wurden Dinge getan, über die sie nicht einmal mit mir reden durfte. Sie wollte es auch gar nicht, wie ich bald merkte. Sie hatte sich der Wissenschaft verschrieben, und sie glaubte aufrichtig daran, für wichtige Ziele einzutreten. Das war unfassbar, denn die Versuche waren meiner Meinung nach vollkommen unethisch.«
Der Vater seufzte lange, dann fuhr er mit brüchiger Stimme fort:
»Und die ganze Zeit Ende der Fünfzigerjahre wollte ich meine Dummheit aus der Nazizeit irgendwie gutmachen. Aber mit den Amerikanern schien das ganz und gar unmöglich zu sein. Ich arbeitete für sie, ja, aber es ging mir von Jahr zu Jahr schlechter. Und Katharina schien der einzige Mensch zu sein, der mich verstand. Katharina, nicht Ingrid . . .«
Blitzartig verstand Erik seinen Vater. Was er getan hatte, den Betrug an seiner Mutter, akzeptierte er zwar nicht. Aber er verstand es. Dieses Gefühl war stark und bewegend.
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»Nach dem Krieg wurde das Atomprojekt der Deutschen in der Öffentlichkeit wenig behandelt. 1957 erschien zu dem Thema ein Buch mit dem Titel ›Heller als tausend Sonnen‹, das ich mir heimlich
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