Das Erbe des Bösen
Paris einzusetzen? Was hätten Sie dann gedacht?‹«
|395| Erik spürte eine große Erleichterung, als er genau die Frage hörte, die er selbst seinem Vater gern gestellt hätte.
»Ich antwortete ihm, dass der ganze Krieg gegen die Westmächte meiner Meinung nach ein Unglück und ein Fehler gewesen sei. Die meisten Deutschen dachten wohl kaum so, höchstens vielleicht in der Endphase des Krieges, ich weiß es nicht . . . Die Deutschen glaubten sogar, die Vereinigten Staaten hätten Deutschland den Krieg erklärt und nicht umgekehrt. So hatte Goebbels es ihnen ja vorgelogen. So war es uns allen von der deutschen Propaganda dargestellt worden. Und so dachte und glaubte auch ich, bis ich in Finnland hörte, wie es sich tatsächlich verhalten hatte . . . Das Wesentliche und Wichtigste war für mich der Status Finnlands, die Wahrung seiner Selbstständigkeit. Deutschland war am Ende das einzige Land auf der Welt, das Finnland von 1941 an noch helfen konnte. Finnland war ernsthaft in Gefahr, und diese Gefahr kam aus dem Osten. Wenn ich je an einen Verwendungszweck der fertigen Atombombe gedacht hatte, dann wäre mein Wunsch sicherlich gewesen, dass Hitler sie gegen die Sowjetunion einsetzt. Das hätte der finnischen Sache geholfen, denn ich sah die absolute Abhängigkeit des Schicksals meines Landes vom Kriegserfolg Deutschlands im Osten. So sagte ich es dem amerikanischen Major, der mich verhörte.«
Erik versuchte, eine Haltung zu der Antwort seines Vaters zu gewinnen, aber das musste er wohl auf später verschieben, denn das Lesen der Straßennamen beanspruchte seine ganze Aufmerksamkeit. Bis zur Kempshott Road konnten es nicht mehr als zwei Kilometer sein.
»Die Fragen der Amerikaner bezogen sich dann immer mehr auf konkrete Details meiner Arbeit. Und dann kam die Überraschung: Sie boten mir an, in die Vereinigten
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Staaten zu gehen und dort meinen Beruf auszuüben. Dabei waren wir gerade noch Nazifeinde für sie gewesen! Aber natürlich war es vernünftig, Wissenschaftler zu rekrutieren. Die Deutschen verfügten über enorme technische und wissenschaftliche Kompetenz, speziell auf dem Gebiet der Raketenforschung. Die Forschungsgruppe um Wernher von Braun war absolut souverän und einzigartig. Und deine Mutter ist dann ebenfalls in Amerika gelandet . . .«
Erik wurde hellhörig. Endlich!
»Ich habe über Ingrid bislang nichts gesagt, weil das Thema für mich in vielerlei Hinsicht schwierig ist. In Berlin hatten wir viel gemeinsam, auch was die Arbeit betraf. Die biologischen und genetischen Auswirkungen radioaktiver Strahlung wurden auch an ihrem Arbeitsplatz in Deutschland untersucht. Die Amerikaner waren an den Resultaten sehr interessiert . . . denn . . .«
Wieder drangen die Gefühle des Vaters an die Oberfläche und seine Stimme brach. Erik hielt das Lenkrad immer fester umklammert.
»Es fällt mir schwer, darüber zu reden, denn ich habe deiner Mutter versprochen, zu schweigen. Aber ich kann nicht über meine Vergangenheit reden, ohne zu erwähnen, was Ingrid getan hat . . . Leider gehen diese Dinge auch dich an. Ich hoffe für dich, dass du die Wahrheit verkraften wirst.«
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Im Hauptquartier des zentralen finnischen Kriminalamts in Vantaa begann erneut eine Sitzung. Auf dem Tisch stand frischer Kaffee in einer Thermoskanne, und ein Korb hielt trockenes Gebäck bereit.
Das ITU, das Europäische Institut für Transurane in Karlsruhe, hatte das Uran aus dem Schließfach am Helsinkier Hauptbahnhof analysiert. Die Ergebnisse der Analyse waren gerade eingetroffen. Normalerweise erhielt man mit Hilfe von Sekundärionenmassenspektrometer und Rasterelektronenmikroskop eine Menge an Informationen über eine untersuchte Substanz: wo sie hergestellt wurde, wie sie angereichert wurde, für welchen Zweck sie bestimmt war.
Diesmal waren die Erkenntnisse des ITU außergewöhnlich. Das Uran enthielt Teilchen unterschiedlicher Herkunft, von denen ein Teil mit Zentrifugentechnik, ein Teil mit Diffusionstechnik und ein dritter Teil mit einem absolut ungewöhnlichen Verfahren getrennt worden war. Über die Herkunft des Materials konnte man nichts sagen – man konnte sich nur darüber wundern.
Malek beobachtete das Verhalten seiner Komplizen, die inzwischen wieder hereingekommen waren, mit zunehmender Besorgnis. Sie würdigten ihn kaum eines Blickes, als sie ins Zimmer marschierten. In dem stickigen, warmen Raum traten Malek Schweißperlen auf die Stirn.
»Was ist
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