Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erbe des Bösen

Das Erbe des Bösen

Titel: Das Erbe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
anschaffte. Darin war alles auf den Kopf gestellt . . . Angeblich hätten wir nicht einmal ernsthaft versucht, eine Bombe zu konstruieren. Heisenberg erklärte, er habe alles getan, um zu verhindern, dass eine Bombe zustande kam. Mayer schwieg. Später hörte ich, dass er in den Fünfzigerjahren Patente beantragt und bekommen hatte, die mit einer thermonuklearen Bombe zu tun hatten. Am schwersten hatte es Otto Hahn gehabt, der Entdecker der Kernspaltung. Er wurde nach dem Krieg zusammen mit anderen wichtigen Wissenschaftlern des Uranvereins zum Verhör nach England gebracht. Dann kam die Nachricht von dem Atombombenabwurf auf Hiroshima . . . Die anderen Mitglieder des Atomprojekts gingen in der folgenden Nacht in Hahns Schlafzimmer, um sich zu versichern, dass er sich nichts antat. So schwer nahm Hahn die Folgen seiner Tätigkeit. Vielleicht hatte auch er das Gefühl, seine Schuld in irgendeiner Weise sühnen zu müssen . . .«
     
    Der Vater räusperte sich und beendete den Satz nicht. Das Reden fiel ihm eindeutig schwer.
     
    »Aber ich arbeitete in Huntsville weiter an der Entwicklung von Atomraketen für die Amerikaner. Zuerst hatte ich es für die Deutschen getan, und dann tat ich es für die Amerikaner, die gegen die Deutschen gekämpft hatten . . .«
     
    Der Sprechrhythmus des Vaters beschleunigte sich etwas, und es kam neue Kraft in seine Stimme.
     
    »Ich glaube nicht, dass du das verstehst, oder dass es überhaupt jemand verstehen kann, aber schließlich traf ich meine Entscheidung. Katharina zeigte mir den Weg. Ich fing an,
|407|
Informationen über die Flugkörperentwicklung an die Russen weiterzugeben, weil sie gegen die Amerikaner kämpften.«
     
    Einen Moment lang glaubte Erik, sich verhört zu haben. Er spürte einen Kälteschauer im Leib, aber die Stimme seines Vaters redete weiter, erbarmungslos.
     
    »Ich wusste, dass der Militärgeheimdienst der Sowjetunion alles daran setzte, hinter unsere Geheimnisse zu kommen. Nach und nach begriff ich auch, dass Katharina den größten Teil der Nachkriegsjahre nicht in der DDR, sondern in Moskau verbracht hatte. Von dort wurde sie in den Westen geschickt, um Spione anzuwerben. Ich war viel auf Dienstreisen und traf sie oft. In Restaurants, Motels . . . Schließlich traf ich auch ihren GR U-Verbindungsmann . Und anstatt unserem Sicherheitschef davon zu berichten, begann ich, über diesen Verbindungsmann von Katharina Informationen an den Kreml zu liefern, unter dem russischen Decknamen »Wolk« – Wolf.«
     
    Eriks Herz schlug bis zum Zerspringen. Er legte den Kopf auf das Lenkrad und ihm wurde für einen Moment schwarz vor Augen.
     
    »Aber ich tat das nicht für die Sowjetunion, sondern für mich. Und für die ganze Welt. Stalin war gerade gestorben, zu seiner Zeit hätte ich mich unter keinen Umständen auf das eingelassen, was ich nun tat. Chruschtschows neues Regime enthüllte die Grausamkeiten der Stalinzeit, und das war eine große Erleichterung für mich. In der Sowjetunion schien eine ganz neue, freiere Ära zu beginnen. Katharina war begeistert und zuversichtlich. Das steckte mich an. Endlich hatte ich einen Weg gefunden, meine Fehler aus der Nazizeit gutzumachen.«
     
    |408| In der Stimme des Vaters klang eine ganz neue Stärke durch, ein fast religiöses Gefühl von Freiheit schien sich zu artikulieren.
     
    »Ich wusste um die Verwüstungen, die eine Atombombe anrichtet . . . Ich wusste, dass die Nazis ohne zu zögern weiträumig Kernwaffen eingesetzt hätten. Und ich wusste vor allem, dass es für alle gefährlich war, wenn die Amerikaner ein massives atomares Übergewicht und die Fähigkeit, es einzusetzen, besaßen. Schon ihre Bereitschaft, Hiroshima und Nagasaki zu zerstören, sprach eine ummissverständliche Sprache. Um die Massenvernichtungskraft unter Beweis zu stellen, hätten es auch kleinere Städte getan. Zwischen den beiden führenden Supermächten musste es ein Gleichgewicht geben – eben jenes, dass man später als Gleichgewicht des Schreckens bezeichnete.«
     
    Wieder merkte Erik widerwillig, dass er seinen Vater irgendwie verstand. Akzeptieren konnte er dessen Verhalten dennoch nicht . . . Auch nicht ansatzweise. Auf einmal verspürte er ein großes Verlangen, mit seiner Mutter zu reden. Oder noch lieber mit Katharina Kleve. Ganz gleich, wie verwirrt die Frau auch sein mochte.

|409| 58
    Nachdem er die Bombe im elektrischen Rollstuhl installiert hatte, stand Parviz auf. Um den Sprengstoff herum waren graue Beutel mit

Weitere Kostenlose Bücher