Das Erbe des Bösen
existierenden Schildes an einem Wagen der Firma, und für den Parkausweis galt das Gleiche. Sogar das Antidiebstahlgitter, das innen an den Heckscheiben angebracht war, hatte Abid bei dem Hersteller geordert, der auch die echten Fahrzeuge des Park-Services belieferte.
Nicht einmal die Mitarbeiter der Firma hätten erkannt, dass sich das von Abid präparierte Fahrzeug von den übrigen Firmenwagen unterschied – außer vielleicht in einer Hinsicht: Die Sprengstoffladung war so schwer, dass die Federung etwas nachgab.
Im Laderaum des Vito, der vor der Garage auf der Straße stand, befestigte Saiid den schweren Rollstuhl mit Gurten.
»Beeil dich!«, trieb ihn Utabar von der Straße aus leise an.
Saiid zog den letzten Gurt straff, ließ den Verschluss einschnappen und stieg aus. Auf dem Gehweg ging ein etwa fünfzigjähriger Mann an dem Lieferwagen vorbei und schaute sie kurz an. Saiid registrierte den Passanten, denn er passte von seiner Erscheinung her überhaupt nicht in die Gegend.
Zusammen mit Utabar verstaute Saiid die Aluminiumrampe im Laderaum. Rashid wartete an der Haustür. Als Saiid die Hecktür |415| des Wagens schloss, fiel ihm auf, dass derselbe Mann von eben auf der anderen Straßenseite erneut an ihnen vorbeiging.
Saiid stieg vorne in den Wagen und fragte Parviz, der am Steuer saß: »Kennst du den Fußgänger da?«
»Nein. Wieso?«
Saiid antwortete nicht, sondern wartete, bis auch Utabar eingestiegen war.
Sobald der die Tür zugemacht hatte, fuhr Parviz los.
Erik eilte zu seinem Wagen. Das Treiben der Männer mit dem elektrischen Rollstuhl kam ihm seltsam vor. Keiner von ihnen brauchte so ein Gefährt, um sich fortzubewegen. Und der Dunkelhaarige am Steuer glich exakt Katjas Beschreibung des Fahrers im grünen Ford. In der Garage hatte ein dunkelgrüner Kleinlieferwagen gestanden, auf dessen Hecktür eine weiße, offiziell wirkende Aufschrift gestanden hatte, die Erik aber nicht hatte lesen können.
Im Gehen rief er Griffin an und teilte ihm mit, was er gesehen hatte.
»Was soll das alles, verdammt noch mal?«, fragte Griffin aggressiv. »Hören Sie mir mal genau zu. Sie kommen jetzt sofort hierher, oder Sie werden große Schwierigkeiten bekommen . . .«
Erik brach das Gespräch ab und öffnete die Zentralverriegelung seines Wagens. Sein Vertrauen in die Behörden ging mittlerweile gegen Null. Er stieg ins Auto und warf die Tür zu.
Im selben Moment ging die Beifahrertür auf, und ein unbekannter Mann, dessen Hautfarbe in Richtung Mittelmeer oder Naher Osten wies, setzte sich neben Erik.
»Keine Bewegung, oder du bist sofort tot«, sagte der Mann und drückte Erik den Lauf einer Waffe in die Rippen.
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»Bitte, Erik, sei so lieb und ruf mich an. Ich möchte mit dir reden«, sprach Ingrid auf den Anrufbeantworter, da sich ihr Sohn nicht meldete.
Sie ertrug den Gedanken nicht, dass ihr einziger Sohn womöglich den Kontakt zu ihr komplett abbrach. Erik war ihr Ein und Alles, schon immer war er das gewesen, und er würde es auch immer bleiben. Sie bereute zutiefst, ihre Zunge nicht im Zaum gehalten zu haben, als er sie besucht hatte.
Wieder ging Ingrid zur Kommode und nahm ein gerahmtes Foto herunter, auf dem sie den wenige Monate alten Erik auf dem Arm hielt. Das war die beste Zeit ihres Lebens gewesen. Trotz ihrer vierzig Jahre hatte sie gut in die Mutterrolle hineingefunden. Körperlich und geistig war sie in einwandfreier Verfassung gewesen, im Gegensatz zu Rolf, der es damals schwer gehabt hatte. Fast die ganze Zeit nach dem Umzug nach Amerika war er unruhig und distanziert gewesen, aber in der Gegenwart des Jungen hatte auch er sich wenigstens ein bisschen entspannen können. Im Nachhinein war Ingrid der Grund für Rolfs Verhalten in all seiner Brutalität deutlich geworden, aber damals hatte sie noch nichts gewusst.
Ein Tränenfilm ließ das Bild vor ihren Augen verschwimmen. Jetzt hatte sie alles verloren. Rolf war tot, und sie hatte einen ernsten, tiefgreifenden Streit mit Erik gehabt, der möglicherweise zum Bruch führen würde. Würde sie ihren Sohn verlieren? Würde er sie so sehr verabscheuen, dass er sie fallen ließ? Und ihre Enkelkinder? Würde sie die jemals wiedersehen? Oder war sie dazu verurteilt, einsam und verlassen zu sterben?
|417| Eine unglaubliche Niedergeschlagenheit überkam sie, so gewaltig, dass ihr das Bild aus den Händen fiel. Das Glas zersplitterte auf dem Fußboden, und Ingrid legte schluchzend die Hände vors Gesicht.
Der Kofferraumdeckel
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