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Das Erbe des Bösen

Das Erbe des Bösen

Titel: Das Erbe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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lange genug im Versteck ausharren, bis die Front – die es gar nicht mehr zu geben schien – weit genug in den Osten gerückt war und die Lage sich beruhigt hatte.
    »Hey, Fritz! Hände hoch!«
    Der scharfe Befehl ertönte in einem merkwürdig breiten Tonfall. Rolf sah zuerst nur die schweren Schnürstiefel hinter sich am Grabenrand.
    »What are you doing there in the goddamn ditch!«
    Rolf hatte noch nie zuvor einen Schwarzen gesehen. Der, der jetzt vor ihm stand, hielt eine Maschinenpistole im Arm, deren Lauf direkt zwischen Rolfs Augen zielte.
    »I am Finnish! Not German«
, sagte Rolf laut und deutlich. Englisch war nach Deutsch seine zweite Sprache im Gymnasium gewesen.
»I am from Finland, you know
. . .
I am a war prisoner, no
. . .
a Prisoner of war
. . .
«
    »Finland?«
, murmelte der Schwarze. »Hab ich nie gehört. Oder doch . . .
The winter war
! Ihr habt den Russen die Hölle verdammt heiß gemacht. Okay, komm raus da und streck die Hände nach oben. Bist du bewaffnet?«
    »Nein, keine Waffen. Ich bin Zivilist.«
    Rolf ging vor dem Amerikaner her in die Richtung, die ihm gewiesen wurde.
    »Ich bring dich zu unserem Hauptmann. Der darf dann entscheiden, |168| was mit dir passiert«, brummte der Soldat und führte ihn offenbar zum Gefechtsbefehlsstand der Kompanie. »Du hast bestimmt deine Papiere dabei?«
    Die Papiere! Verdammter Mist . . . Der Pass war bei Hans im Stall. Den bekam er nicht, ohne Hans zu verraten, und das wollte Rolf nicht.
    Und dann das Schlimmste: Er hatte noch den Brief des Reichssicherheitshauptamtes im Jackenfutter. Er konnte nur hoffen, dass man ihn nicht allzu gründlich durchsuchte. Er hätte den Brief und die Arbeitserlaubnis des Instituts rechtzeitig verbrennen müssen.
    Der Befehlsstand der amerikanischen Kompanie befand sich auf einem nahe gelegenen Bauernhof. Der Hauptmann kaute nervös auf einem Zigarrenstummel herum und war augenscheinlich nicht auf weitere Verzögerungen versessen. Er blickte verärgert von der Karte auf der Kühlerhaube eines Jeeps auf, musterte Rolf von oben bis unten und raunzte dem Soldaten etwas zu, was Rolf nicht verstand.
    »Aber er lag im Graben, Sir, hat sich versteckt . . . als wollte er uns beobachten, Sir! Und er behauptet, er ist kein Deutscher, sondern Schwede.«
    »Nein, Finne«, korrigierte Rolf. »Ich bin Kriegsgefangener, ich bin auf der Flucht.«
    »Hat er Papiere? Einen Pass?«
    Der Hauptmann mit dem Helm machte sich gar nicht erst die Mühe, ihn direkt anzusprechen.
    »Ich bin noch nicht dazu gekommen, ihn zu durchsuchen, Sir«, murmelte der Schwarze.
    »Well«
, richtete der Hauptmann nun das Wort an Rolf.
»Your passport?«
    »Die Deutschen haben ihn mir abgenommen, Sir. Aber ich bin kein Deutscher. Ich komme aus Finnland.«
    »Können Sie das beweisen? Durchsucht ihn!«
    Das war es dann wohl. Sie würden den Brief finden. Verdammt, verdammt, sie würden ihn finden . . .
    |169| »Kein Pass. Nur eine Arbeitserlaubnis von irgendeinem Kaiser-Wilhelm-Institut und ein Briefumschlag im Jackenfutter, Sir«, meldete ein Gefreiter eifrig.
    »Ein Briefumschlag? Her damit!«
    Der Hauptmann zermalmte seinen Zigarrenstummel zu feinsten Krümeln. »Ich kann das nicht lesen! Aber Unterschrift und Stempel sind von einem S S-Bonzen . Hakenkreuz und alles. Das muss genauer untersucht werden. Die Anweisungen sind eindeutig: alles, was mit der SS zu tun hat, wird mit Stumpf und Stiel eliminiert. Der Kerl hier kommt direkt zum Brigadestab. Die wissen, was man mit so einem Scheißnazi machen muss!«
    Rolf zuckte zusammen, als er die Bezeichnung hörte, mit der er sich kein bisschen identifizierte.
Scheißnazi
. . .
    Er wurde mit zwei Meldern zu einem anderen Jeep geschickt. »Der Stab war vorhin am Rand eines Dorfs, zwei Meilen westlich der Hauptstraße. Fragt, wenn ihr ihn nicht findet«, wies der Hauptmann die Meldesoldaten an. »Und wenn er so dumm ist, einen Fluchtversuch zu riskieren, erschießt ihr ihn und kommt auf der Stelle zurück.«
    Ein einziges Blatt Papier, dachte Rolf. Wenn ich es nur rechtzeitig verbrannt hätte . . .
    Beim Brigadestab fanden sich schließlich Amerikaner, die Deutsch konnten. Man legte Rolf in Fesseln und schickte ihn mit der Militärpolizei immer weiter, vom Stab der Division zum Stab des Armeekorps bis zum Heeresstab.
    Irgendwo westlich von Frankfurt wurde er Zeuge eines apokalyptischen Anblicks: Er sah Zehntausende deutscher Kriegsgefangener, die in grauen Scharen in die Gefangenenlager gebracht wurden, Hunderte

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