Das Erbe des Bösen
Zwischenfall im Hotelzimmer hinzugefügt. Der Polizeibeamte hatte alles aufgeschrieben, aber es war deutlich zu sehen gewesen, dass er dem Ganzen nicht allzu viel Gewicht beimaß.
Rolf lag noch immer auf der Matratze, die Hände über der Brust verschränkt. Er war nicht richtig wach, konnte aber auch nicht schlafen.
Über Hoffmann oder das Uran mochte er sich nicht mehr den Kopf zerbrechen, stattdessen sprangen seine Gedanken in dem wirren Geflecht aus Erinnerungsbildern und den in der Nacht im Thüringer Wald wiedergesehenen Orten hin und her. Er wunderte sich immer noch darüber, wie wenig sich die Kurve neben dem Bach verändert hatte, wo er und Hans am letzten Tag im März 1945 von der S S-Patrouille angehalten worden waren.
Nachdem sie die Patrouille passiert hatten, setzten sie ihren Weg scheinbar sicheren Schrittes fort, aber die Angst steckte ihnen tief in den Knochen.
»Das darf sich nicht wiederholen«, sagte Hans entschieden. »Es hat keinen Sinn, weiterzugehen. Wir suchen uns einen Bauernhof und verstecken uns. So wie Mayer es uns geraten hat.«
In der Ferne zeichneten sich bereits die roten Ziegeldächer und der Kirchturm des Dorfes Brotterode ab, aber bis dorthin zu gehen, wäre viel zu gefährlich. Dann sahen sie rechter Hand ein niedriges Bauernhaus und daneben einen größeren und einen kleineren Stall.
Mit der Vollmacht von Kaltenbrunner machten sie der Bäuerin Angst, bis sie von ihr ein Versteck auf dem Heuboden des Pferdestalls zugewiesen bekamen. Dort reinigte Rolf die Wunde von Hans und verband ihn. Zum Glück war die Wunde nicht tief, aber es musste verhindert werden, dass sie sich entzündete.
Die erste Nacht war bitterkalt, aber dann gewöhnten sie sich daran, oder vielleicht war auch das Wetter milder geworden. Am dritten April berichtete ihnen die Bäuerin, die Amerikaner wären |166| bereits auf der Höhe von Osnabrück, Kassel und Fulda. Allmählich trafen versprengte deutsche Truppen auf dem Rückzug im Thüringer Wald ein, durch und durch erschöpfte und zerlumpte Soldaten.
In der Nacht zum vierten April hörten Rolf und Hans deutlich von Norden und von Süden her das ferne Grollen von Geschützfeuer. Immer häufiger flogen amerikanische Aufklärungs- und Kampfflugzeuge über die Gegend. Am Morgen des vierten April war aus Richtung Brotterode stundenlang heftiges Maschinengewehrfeuer zu hören, das erst spät am Abend endgültig abgeklungen war, nach einem schweren Luftschlag der Amerikaner. Die Erde schien eine halbe Stunde lang zu zittern, bis sich Stille über die Gegend legte. Sie hörten nur noch das Zwitschern erschrockener Vogelschwärme in den Bäumen. Von Westen her trieb der Wind beißenden Rauch heran.
Ohne sich um Hans’ Einwände zu kümmern, beschloss Rolf am späten Nachmittag, sich draußen ein Bild von der Lage zu machen. Die Bäuerin war nirgendwo zu sehen, vielleicht hatte sie sich im Kartoffelkeller versteckt. Rolf ging am Rand eines großen Feldes entlang bis zu einer Reihe von Pappeln, die etwa zweihundert Meter vom Haus entfernt standen. War nun alles vorbei? Deutsche Soldaten würden sich hier jedenfalls kaum noch blicken lassen . . . Außer vielleicht letzte Einheiten auf dem Rückzug oder solche, die sich verirrt hatten.
Plötzlich regte sich etwas auf dem Feld. Rolf drückte sich am Feldrand auf den Boden.
Ein, zwei, drei Gestalten, dann immer mehr, zwei Gruppen oder vielleicht sogar ein ganzer Zug.
Die einsetzende Abenddämmerung und der Nieselregen beeinträchtigten Rolfs Sicht, aber die Gestalten bewegten sich eindeutig in seine Richtung. Aller Logik nach mussten es Amerikaner sein. Oder warum nicht doch zurückweichende Deutsche? Rolf ging im Graben in Deckung und wartete ab.
Die Männer waren noch immer zu weit weg, als dass er ihre Nationalität hätte zuordnen können. Auf einmal hörte er hinter |167| sich, auf der Straße, die ins Dorf führte, Geräusche, ein Scheppern und Rattern.
Kettenfahrzeuge.
Rolf kroch auf die andere Seite des Grabens und versuchte den Blick zu schärfen. Aus dem Tal hinter dem dichten Fichtenwald drang ein Geräusch herauf, das schnell lauter wurde, und bald schon tauchte der erste Panzer auf. Auf keinem Zeitungsfoto und in keiner Wochenschau hatte er solche deutschen Panzer gesehen. Das waren jedenfalls keine Panther und keine Tiger . . .
Immer mehr Panzer kamen um die Kurve, es folgten Lastwagen, Sturmpanzer, Jeeps, Infanterie, es hörte überhaupt nicht mehr auf. Und runde Helme! Jetzt hieß es,
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