Das Erbe des Greifen
erst recht ihre Aufmerksamkeit auf uns!«
»Jetzt ist es sowieso zu spät«, sagte Garret leise, als ein Soldat der Stadtwache sie heranwinkte.
»Das macht zwölf Kupfer Stadtzoll«, meinte der Soldat zu Tarlon, der vorne ritt. »Vier für euch und acht für die Pferde. Hier.« Er reichte Tarlon vier blau bemalte hölzerne Scheiben hoch, während dieser das Kupfer aus dem Beutel fischte. »Damit könnt ihr euch einen Tag lang in der Stadt aufhalten … wenn ihr länger bleiben wollt, nehmt euch ein Zimmer und lasst euch vom Wirt einen weiteren Stadtpfand geben. Wir dulden keine Stadtstreicher in Berendall.«
»Danke«, meinte Tarlon höflich und reichte dem Soldaten das Kupfer. »Könnt Ihr uns einen guten Gasthof empfehlen?«
»Versucht es mit der ›Dürren Gans‹ in der Treibergasse.« Der Soldat grinste und zeigte dabei eine Zahnlücke. »Er ist um vieles besser, als seine Name vermuten lässt.« Er deutete auf das Tor. »Reitet nun weiter, ihr haltet den Verkehr auf.«
Wortlos ritten die vier wieder an. Als sie durch den massiven Tortunnel hindurch waren, drehte sich die Bardin um und sah zurück. Der Priester war noch immer nicht zu sehen.
»Das ging ja ohne Schwierigkeiten«, stellte Garret fest. »Waren Eure Befürchtungen vielleicht doch unnötig?«
»Wir haben Glück gehabt«, antwortete die Bardin mit gefurchter Stirn. »Aber irgendetwas daran gefällt mir nicht.«
»Euch missfällt, dass wir Glück hatten?«, fragte Garret amüsiert.
»Dergleichen bin ich nicht gewöhnt, wenn es um Belior geht«, antwortete sie. »Ich habe das ungute Gefühl, dass wir gerade in eine Falle gelaufen sind.«
»Vielleicht ist es wirklich so, Sera«, rief Garret lachend. »Ich meine, dass Ihr Euch zu viel Sorgen macht. Hier herrscht kein Krieg, und niemand lauert uns auf oder sucht nach uns.«
»Ich mache mir viele Sorgen, in der Tat«, gab die Bardin zurück. »Doch für Euch gilt das genaue Gegenteil!«
»Recht habt Ihr«, stimmte Garret ihr breit grinsend zu. »Sorgen vermiesen einem schließlich nur den Tag!« Er sah hinauf zur Sonne. »Es ist später, als ich dachte. Was meint Ihr, sollen wir uns Zimmer für die Nacht nehmen oder gleich im Hafen schauen, wann ein Schiff fährt? Fahren denn Schiffe überhaupt am späten Nachmittag aus?«
»Das kommt darauf an, ob gerade Flut ist«, antwortete die Bardin. »Für heute dürfte es allerdings zu spät sein. Also sollten wir uns zunächst Zimmer nehmen und dann beim Hafenmeister fragen, welche Schiffe zurzeit vor Anker liegen und wohin sie fahren.«
»Dann also auf zum Gasthof«, rief Garret und versuchte sein Pferd beruhigen, dem die vielen Menschen auf den Straßen genauso wenig geheuer waren wie ihm selbst.
»Die Flut hat etwas mit dem Meer zu tun, nicht wahr?«, fragte er wenig später Tarlon.
Sein Freund nickte. »Die beiden Monde ziehen das Wasser zu sich hoch, so dass eine Art Beule auf dem Meer entsteht, was an den Küsten wiederum zu unterschiedlich hohen Wasserständen führt. Da wir zwei Monde haben, ist es recht kompliziert zu berechnen, wann wo Flut ist.«
»Ich verstehe«, sagte Garret und gähnte. »Das wäre mir zu viel Kopfarbeit. Ich würde die Häfen einfach so tief ausheben, dass sie auch dann genügend Wasser führen, wenn nicht Flut ist.«
»Du meinst bei Ebbe. Aber darum geht es nicht, Garret. Wenn man auf dem Höhepunkt der Flut ausläuft, fährt man mit der Strömung, weil von dem Zeitpunkt an das Wasser wieder abfließt.«
Garret lachte. »Ich sehe schon, die Seefahrt ist nichts für mich. Woher weißt du das alles?«
»Ich habe es in einem Buch gelesen.«
»Das ist auch nichts für mich. Ich finde die Dinge lieber selbst heraus. Außerdem kann ich ja dich fragen, wenn ich etwas wissen will.«
»Schön, dass du es so siehst«, antwortete Tarlon in einem leicht gequälten Ton. Doch Garret achtete schon gar nicht mehr darauf, er hatte die Hand gehoben und zügelte sein Pferd.
Weiter vorne, kurz bevor die Straße auf den Marktplatz mündete, hatte sich eine wütende Menschenmenge gebildet. Obwohl sie vom Rücken ihrer Pferde aus einen besseren Überblick hatten, war nicht sofort erkennbar, was die Menge so erzürnte, doch im nächsten Moment stolperte ein hagerer Mann aus einem Haus hinaus auf die Straße, dicht gefolgt von einem schwer gepanzerten Soldaten im Wappenrock Thyrmantors.
Bevor der ältere Mann fliehen konnte, traf ihn ein harter Schlag in den Rücken, der ihn zu Boden warf, dann trat der Soldat mit dem Fuß nach ihm.
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