Das Erbe des Greifen
dafür, ihn auf der Stelle verschwinden zu lassen. Sie ist etwas hitzköpfig.« Leonora zog eine Augenbraue hoch. »Ich frage mich, von wem sie das hat.«
Knorre hob die Hand und lachte leise. »Friede, Leonora?«
Sie lächelte und nickte. »Friede. Bis zum nächsten Krieg.« Dann ging sie zum Fenster und schob den Vorhang zur Seite. »Ich muss zugeben, beinahe hätte ich Sina den Gefallen getan. In den letzten Tagen haben die Repressalien überhandgenommen. Die königlichen Soldaten benehmen sich, als gehörte die Stadt ihnen, und die Priester des Darkoth …« Sie seufzte. »Es scheint mir fast, als ließen sie keine Gelegenheit aus, die Leute zu provozieren. Und sobald sich jemand darauf einlässt, schnappt die Falle zu.« Sie ließ den Vorhang fallen und wandte sich zu Knorre.
»Du hast gesagt, du wolltest etwas gegen dieses Geschmeiß unternehmen. Hast du schon was erreicht?«
»Ich finde, Lindors Regimenter in die See zu spülen, war ein guter Anfang. Dummerweise wären wir dabei fast selbst ersoffen. Nur die Magie des Stabs hat uns gerettet. Und die brachte uns schnurstracks in den alten Turm von Berendall.« Er zuckte die Schultern. »Zugegeben, das war nicht so geplant. Außerdem scheinen wir auf der Strecke Zeit verloren zu haben. Irgendetwas mit der Magie muss schiefgelaufen sein … es könnte an dem Wasser gelegen haben, das wir mitschleppten! Es hat den alten Turm fast zerissen, als wir ankamen.«
»Der Knall war weithin zu hören. Ich habe mir schon gedacht, dass du es warst.«
»Wir hätten nicht hier landen dürfen. Es gab in Lytar noch genug zu tun. Allerdings …«, er sah verärgert aus dem Fenster, »gibt es hier ebenfalls einiges zu tun!«
»Nimm es nicht so schwer, wahrscheinlich kommen sie in Lytar auch ohne dich zurecht. Jetzt bist du jedenfalls hier. Was machen wir nun?«
»Zuerst hatte ich vor, zurückzureiten, sobald ich genesen bin. Dass sie nun die Tore so streng bewachen, ist ärgerlich. Es gibt zwar andere Wege aus der Stadt, aber dann müssten wir zu Fuß gehen. Ich habe mir überlegt, Lindors Lager aufzusuchen und dort etwas Unruhe zu stiften.«
»Der Graf hat das Lager abriegeln lassen. Es dürfte schwer sein, hineinzugelangen, und so gut wie unmöglich, an ihn selbst heranzukommen. Er schleift seine Soldaten bis aufs Blut und benimmt sich, als wäre Krieg.«
»Da hat er ja nicht Unrecht«, knurrte Knorre grimmig. »Er trat den Leuten von Lytara empfindlich auf die Füße, und die gehören nun mal zu der Sorte Mensch, die sich so etwas nicht bieten lässt. Sie haben Thyrmantor den Krieg erklärt.«
Leonora sah ihn nachdenklich an.
»Das könnte interessant werden«, bemerkte sie dann.
»Entschuldigt, Sera«, meldete sich Argor zu Wort, der die ganze Zeit still zugehört hatte. »Ihr scheint Informationen über Lytara zu haben?«
Sie nickte.
»Ich war vor ein paar Jahren zum Sommerfest dort. Ich mag die Leute aus dem Tal. Nur war es unbefriedigend, dort keinen Gottesdienst abhalten zu können, obwohl die Göttin sehr verehrt wird.«
»Ihr seid eine Priesterin Mistrals?«, fragte Argor erstaunt.
»Ja«, lächelte Leonora. »Aber ich konnte in dem Dorf nicht viel ausrichten. Solange die Verderbnis über Lytar liegt, ist Mistrals Widerstand auch in Lytara fühlbar. Die Göttin lässt sich nicht sehr leicht besänftigen, wisst Ihr?«
»Das«, meinte Argor grinsend, »kann ich mir vorstellen. Aber sagt, warum nimmt man uns eigentlich so ernst? Ist es nicht eher zum Lachen, dass ein kleines Dorf gegen Thyrmantor in den Krieg zieht?«
»Es kommt wohl auf das Dorf an«, antwortete Leonora ernst. »Dies hier sind die Greifenlande, Freund Argor. Lytars Untergang war so spektakulär, dass sich die Legenden hielten. Und es sind ja nicht nur Legenden: Überall findet man die Spuren der alten Macht des Greifen. Jetzt aber erhebt sich der Greif erneut. Wenn Ihr wüsstet, wie viele Legenden sich um die Zeit ranken, da er wieder auferstanden sein wird, dann könntet Ihr verstehen, warum ein jeder Euren Widerstand so ernst nimmt. Lindor jedenfalls geht kein Risiko mehr ein.«
»Vielleicht kann man sich für einen königlichen Soldaten ausgeben«, überlegte Knorre laut. »So müsste man doch ins Lager kommen.«
»Jetzt, wo jeder nach dir sucht? Die einzigen Soldaten, die das Lager verlassen, sind die Eskorten für die Priesterschaft des dunklen Gottes. Willst du dich ausgerechnet unter die Gesellen mischen?«
»Zugegeben, das dürfte schwierig werden. Aber vielleicht … wenn
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