Das Erbe des Greifen
den Rat aufzunehmen.« Hernul legte eine Hand auf Raliks gepanzerten Arm. »Schau, mein Freund, egal wie du es betrachtest, es bleiben nur zwei Fragen. Die eine lautet, traust du Pulvers Urteil, die andere, vertraust du ihm selbst.«
»Ich mag es nicht, wenn etwas hinter meinem Rücken bestimmt wird. Es ist in Ordnung, wenn er schon im Voraus weiß, wie ich mich entscheiden werde, aber bei den Göttern, er könnte mich doch wenigstens einmal fragen, bevor er zu planen beginnt. Was mir aber die Barthaare abstehen lässt, ist die Tatsache, dass er mich immer wieder um den Finger wickelt. Er findet Argument um Argument, um meine Bedenken zerstreuen, auf jede meiner Fragen hat er eine Antwort parat, und dann, zum Schluss, klopft er mir auf die Schulter und sagt, na, siehst du, Ralik, ich wusste, dass wir einer Meinung sind! Gütige Götter, Hernul, ich bin nun wahrlich kein kleines Kind mehr, und niemand kann mich dumm nennen, aber bei Pulver fühle ich mich immer so, als wäre ich einfach zu langsam, um auf Anhieb zu verstehen, was er meint! Und dann, wenn er mir alles haarklein erklärt und jede noch so unbedeutende Erwägung auseinandergesetzt hat, wenn mir nicht mehr ein einziger Grund einfällt, ihm noch zu widersprechen … genau dann fühle ich mich so, als ob ich gar nicht mehr wüsste, was ich eigentlich will! Dann schäme ich mich, weil ich nicht sofort begriff, was er mir erklären wollte, und werde stur und trotzig wie ein Kleinkind, das seinen Willen nicht bekommt. Manchmal will ich einfach Recht haben … doch Pulver gönnt mir das nie!«
Hernul lachte erheitert. »Ich weiß, wie du dich fühlst. Mir geht es bei Tarlon manchmal genauso. Ich habe gelernt, mich damit abzufinden, dass er alles durchgedacht hat, bevor er den Mund öffnet. Und was Pulver betrifft … was erwartest du von jemandem, der jedes Buch gelesen hat, dessen er habhaft werden konnte, und der schlichtweg nie etwas vergisst?«
»Dann verstehe ich nicht, warum er so oft den Spaßvogel spielt. Manchmal mag man ihn kaum ernst nehmen.«
»Weißt du, Ralik«, begann Hernul, »jemand, der immer Recht behält, wird von den Leuten geschnitten. Pulver musste das schon als Kind erfahren, und Astrak macht nun die gleiche Erfahrung. Sie sind sich beide ähnlich. Und beide zeigen sich in ihrer Ernsthaftigkeit nur denen, die sie wirklich mögen und denen sie vertrauen. Die Meisten im Dorf würden dich gar nicht verstehen, weil Pulver es noch nie für nötig hielt, sie zu überzeugen. Denn sie sind ihm nicht wichtige. Pulver ist auf jedem Fest gern gesehen, weil er Freude verbreitet … doch nur die Wenigsten kennen ihn so, wie du ihn mir beschreibst. Doch das ändert sich gerade.«
»Vielleicht hast du Recht, so habe ich es noch nie betrachtet«, erwiderte Ralik nachdenklich. »Aber wieso meinst du, dass sich daran gerade etwas ändert?«
»Ralik, alter Freund. Sieh mich an und sage mir, ob du die Verantwortung übernehmen willst und bereit bist, Entscheidungen zu treffen, die unser aller Leben verändern werden? Entscheidungen, die weit über unser Tal hinaus wirken werden?«
»Das tue ich doch gerade. Ich werde unsere Kämpfer anführen, und wenn wir den Feind stellen, werde ich in vorderster Reihe stehen.«
»Und wenn Belior nicht blind den Pass hinaufgestürmt kommt? Wie sieht dein Plan für diesen Fall aus?«
Der Zwerg strich sich durch den Bart.
»Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Es wird sich zeigen, wenn es so weit ist.«
»Was meinst du, könnte Pulver einen Plan dafür haben?«
Der Zwerg seufzte.
»Was genau willst du mir damit sagen, Freund?«
»Es liegt auf der Hand. Anselm ist unser Bürgermeister, aber mehr will er nicht sein. Er ist in Lytara zurückgeblieben und hat dort Gründe gefunden, nicht mit uns nach Alt Lytar zu gehen. Er sagt, er müsse sich um den Nachschub kümmern und um seinen Sohn, von dem sowohl Meliande als auch Barius sagen, dass seine Seele an den Falken verloren ist. Im Moment zumindest wirst du von ihm keine Führung erwarten können, er ist damit zufrieden, wenn man ihm sagt, was er tun soll. Und ich … ich baue dir jedes erdenkliche Haus. Ich weiß auch, wie wir all die Dinge transportieren können, die wir benötigen. Aber ich weiß nicht, was wir benötigen! Ich hätte beispielsweise nicht an das Bier gedacht, es war Pulver, der Anselm darauf ansprach. Wir alle sind froh, wenn uns jemand sagt, was wir tun sollen. Weil wir dann nicht mehr entscheiden müssen! Pulver aber ist
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