Das Erbe des Greifen
seine Augen und er fiel vornüber.
Meliande fasste ihre Schwerter fester und bereitete sich auf den Ansturm der anderen vor, doch wieder geschah das Unerwartete. Einer der Kronoks ritt zur Echse des Gefallenen hinüber und ergriff ihre Zügel. Mit ihr im Schlepptau trottete er zu der Stelle, an der die Hüterin wartete. Er saß ab, packte den toten Kameraden und wuchtete ihn auf den Sattel seines Reittiers. Dann saß er selber auf und trabte davon. Die restlichen vier Kronoks schlossen sich ihm wortlos an.
Meliande stand regungslos da und sah ihnen nach, bis sie in der Ferne verschwunden waren.
Dann hob sie ihren Blick in den klaren blauen Himmel.
»Göttin!«, hauchte sie. »Kannst du mir das bitte erklären?«
»Woher konnte sie auch von der Brutmutter der Kronoks wissen?«, wunderte sich Lamar. Er musterte den alten Mann. »Das bringt mich zu der Frage, woher Ihr davon wisst?« Der alte Mann lachte. »Ich werde mich hüten, Euch zu viel zu verraten. Allerdings muss ich gestehen, dass ich lange gebraucht habe, um dahinter zu kommen. Meine Neugier trieb mich, und ich gab nicht eher Ruhe, bis sich mir jeder Stein zum anderen fügte und ich endlich verstand, was geschehen war. Es ist eine Geschichte für sich … aber dazu später. Allerdings habt Ihr Recht, denn für die Kronoks hatte sich etwas bestätigt, was sie zuvor nur befürchtet hatten …«
Weit entfernt von dem Schauplatz des Kampfs, in einer Burg, über der das Banner des Drachen wehte, öffnete der Kriegsmeister die Augen. Er teilte sich das Nest mit niemanden, dennoch war er nicht allein.
»Wir starben«, sagte eine ferne Stimme. »Wir hörten, was sie sagte.«
»Ja«, sagte eine andere Stimme. »Wir hörten sie.«
»Sie kämpft um ihre Kinder«, stellte der Kriegsmeister fest. »Sie sah uns. Sie schickte Ihre Brut weg und blieb. Sie blieb, um uns zu besiegen. Sie zeigte keine Angst und forderte uns auf, den ersten Schlag zu führen.«
»Sie stand offen vor uns. Sie ist eine Brutmutter«, stellte die ferne Stimme fest.
»Wir verloren viele Eibrüder, weil wir es nicht besser wussten«, sagte eine andere Stimme.
Sie alle schmeckten das Eisen auf der Zunge des Kriegsmeisters, als diesem bewusst wurde, welch schweren Irrtum sie begangen hatten.
Der Kriegsmeister schloss die Augen, suchte ihren Geist und fand ihn. Er wagte kaum, sie zu berühren. Er öffnete sich Ihr, zeigte Ihr alles, was er wusste und erfahren hatte. Dann wartete er.
Lange lag er in seinem Nest, er fühlte die Gegenwart der anderen, aber auch sie schwiegen und warteten auf das Urteil der Brutmutter.
»Kommt«, hörten sie dann die Stimme, die ihnen heilig war. »Kommt zurück. Aber bringt mir eine ihrer Brutmütter.«
»So soll es geschehen«, flüsterte der Kriegsmeister voller Ehrfurcht und presste sich flach gegen den Sand seines Nests. »So soll es geschehen«, wiederholten die fernen Stimmen.
»Ich dachte, die Kronoks verfolgten keine eigenen Interessen?«, sagte Lamar.
»Nun, das dachte Kanzler Belior auch«, erwiderte der alte Mann grinsend.
»Ich nehme an, er hat von seinem Irrtum noch erfahren«, meinte der Gesandte. »Aber es ist erstaunlich, dass die Hüterin den Kronok besiegen konnte.«
»Die Kronoks waren nicht ganz so unbesiegbar, wie es schien. Letztlich waren ja auch sie nur Wesen aus Fleisch und Blut. Doch gab es nur wenige, die sich damit brüsten konnten, einen von ihnen besiegt zu haben. Die Meisten überlebten ihren Triumph nur kurz … aber die Hüterin gab sich mit solchen Gedanken nicht ab. Sie tat einfach, was getan werden musste, ein Streben nach Ruhm und Ehre war ihr weitgehend fremd.«
»Anders dieser Garret«, sagte Lamar schmunzelnd. »Mir scheint, er mochte es, wenn man ihn bewunderte.«
»Seid Ihr Euch sicher?«, fragte der alte Mann lächelnd.
»Gewiss gefiel es ihm, wenn Vanessa zu ihm aufsah.«
»Damit könntet Ihr Recht haben«, meinte der alte Mann erheitert. »Aber nun zurück zu Sera Meliande und Hauptmann Hendriks …«
Dem Hauptmann war nie wohl bei einer Flucht, und so hatte er diese hier in dem Moment abgebrochen, als er begriff, dass die Echsen ihnen nicht folgten. So schnell wie möglich sammelte er seine Leute, von denen einer bereits das Pferd der Sera eingefangen hatte. Eine Weile warteten sie noch und suchten nach dem Feind, der jedoch nicht kam, dann ritten sie vorsichtig zurück.
Sie fanden Meliande neben der Leiche des Priesters auf dem Boden sitzen, ihre blanken Schwerter über die Beine gelegt und
Weitere Kostenlose Bücher