Das Erbe des Greifen
er sich an sein Pferd und trieb es an, noch bevor er fest im Sattel saß. Und die anderen Männer preschten den beiden hinterher.
Meliande hingegen zügelte ihr Pferd und bereitete sich auf den Angriff vor, der jeden Moment kommen musste.
Er kam nicht. Die Kronoks auf ihren mächtigen Kriegsechsen sahen den Söldnern nach, die im wilden Galopp davonritten, dann trabte eines der Wesen gemächlich auf die Hüterin zu.
»Du bisst ein Weibchen«, begrüßte er sie, als er etwa fünf Schritt entfernt von ihr seine Echse zum Stehen brachte.
»Ja«, antwortete Meliande verwundert. Was hatte das zu bedeuten? Sie versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie der Anblick der Echse erschreckte. Einen toten Kronok zu entdecken war etwas anderes, als einem lebenden Exemplar gegenüberzustehen. Sollte sie das hier überleben, würde sie dem Hauptmann Abbitte leisten, diese Echsen waren wahrlich furchteinflößend.
»Hast du ein Nesst?«
Meliande blinzelte.
»Ich verstehe nicht?«
Mit einem Überfall hatte sie gerechnet, und den Auftritt des Priesters hatte sie erwartet, doch dass die Echsen vor dem Kampf noch mit ihr plaudern wollten, überraschte sie.
»Hasst du … Eier gelegt? Bisst du Mutter?«
»Ja«, antwortete Meliande, die noch immer nicht verstand, was der Kronok von ihr wollte.
»Gut«, sagte der Kronok. »Dann kämpfen wir miteinander.«
Er stieg ab und schickte sein Reittier mit einem gutturalen Laut davon.
Vanessa hatte Meliande von ihrem eigenen Zweikampf mit einem Kronok berichtet und ihr gesagt, dass diese Echsen nicht fair kämpften. Doch ihre Chance in einem unfairen Zweikampf war immer noch größer, als wenn sie sich gegen alle sechs zugleich hätte erwehren müssen.
Sie ließ sich vom Pferd gleiten und wollte diesem einen Klaps geben, doch das war gar nicht nötig, denn sobald es ohne Reiter war, ergriff es die Flucht.
Langsam zog der Kronok sein Schwert. Die Klinge war beinahe so groß wie Meliande selbst.
Dann hob er die Waffe an und wartete. Auch Meliande zog ihre Schwerter, und als nichts geschah, nickte sie dem Echsenkrieger einfach zu.
Es war erschreckend, wie schnell sich diese Kreatur mit einem Mal bewegte. Eben noch stand der Kronok gelassen da, im nächsten Moment brachte ein riesiger Satz ihn nahe an sie heran. Das Schwert fuhr herab und hätte sie sicherlich entzweigespalten, wäre sie nicht blitzschnell ausgewichen. Sie rollte sich zur Seite ab. Ein gleißendes Licht entstand um ihre Hände und lief weiß leuchtend ihre blanken Klingen empor, ihr linkes Schwert zuckte schräg nach vorne hoch und fing den nächsten Schlag der Echse mit überraschender Leichtigkeit ab.
Als die Klingen aufeinander trafen, schlug der weiß glühende Stahl der Hüterin Späne aus dem Stahl der Echse! Zugleich drehte sich die Hüterin in den Schlag hinein und duckte sich unter dem Schildstoß der Echse hindurch. Ihre andere Klinge beschrieb indes einen weiten Bogen, und der gleißende Stahl durchschnitt auf seinem Weg das gegnerische Schwert, dessen oberer Teil zu Boden fiel.
Der Kronok erstarrte mitten in der Bewegung, dann ließ er langsam seine Schlaghand sinken, die noch den Stumpf des Schwertes hielt.
Kein Stahl der Welten war so scharf, dass er ein solches Schwert durchschnitt, und so hart zu schlagen war ebenfalls kaum möglich. Doch hier wirkten nicht nur Stahl und Muskelkraft. Es war die gleißende Magie der alten Stadt, Ergebnis einer Meisterschaft, die zu erlangen nun niemand mehr hoffen konnte.
Doch auch diese Meisterschaft erschöpfte sich.
»Du jedenfalls wirst meine Kinder nicht anrühren!«, keuchte Meliande und trat schwer atmend zurück … ein letztes Mal flackerte das gleißende Licht über den bluttriefenden Stahl, dann verlosch es. Ihr Herz raste, und ihre Hände zitterten, beinahe wurde ihr schwarz vor Augen, doch Meliandes eiserner Wille drängte die drohende Ohnmacht zurück. Götter, dachte sie verzweifelt. Noch immer fünf von ihnen, gib mir die Kraft, oh Mistral, diese Prüfung zu bestehen!
Der Kronok ließ den Stumpf seines Schwerts fallen und griff sich an den Bauch, dorthin, wo in der dicken Panzerung nun ein Spalt klaffte, aus dem sich schwallweise Blut ergoss.
Ihre Blicke trafen sich, doch was sie sah, überraschte sie. In den gelben Augen des Kronoks las sie keine Angst und kein Entsetzen, sondern nur Einverständnis mit dem, was geschehen war.
»Mutter«, sagte er schließlich, und nickte, als habe er etwas lang Gesuchtes wieder gefunden, dann brachen
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