Das Erbe des Greifen
können, denn es war gnadenlos … auch im alten Lytar gab es Menschen, die ohne Schuld waren!«, rief Barius ergriffen. »Nun ergibt alles einen Sinn!«
Eine Weile standen sie da, sahen einander an und versuchten zu verstehen, was all dies für sie zu bedeuten hatte. Ohne es selbst recht zu bemerken, hatte sich Elyra an Pulvers Schulter gelehnt, und nun weinte sie lautlos, während er sie tröstend in den Arm nahm.
»All diese Jahre dachten wir, sie hätte uns gerichtet«, flüsterte Pulver bestürzt. »Wir hätten es besser wissen müssen! Sie hat uns nicht gedroht, sie hat uns nur gewarnt!«
»Deshalb ist Belior auch so versessen auf die Krone«, stellte Astrak fest. »Ihre Macht könnte ihm Einhalt gebieten, wenn sie gegen ihn verwendet wird. Oder ihn wahrhaft unbesiegbar machen, falls sie in seine Hände gelangt.« Er schüttelte verzweifelt den Kopf. »Und wir wissen nicht einmal, wo sie ist!«
»Oh doch«, widersprach Pulver leise. »Das wissen wir.«
Sie alle sahen ihn sprachlos an. Dann wischte sich Elyra schniefend mit der Hand die Tränen ab und räusperte sich.
»Und wo ist sie?«, fragte sie heiser.
»Du hast mir doch gesagt, du habest in einer Vision gesehen, wie du ihm die Krone überreichtest.«
»Das stimmt«, bestätigte Elyra. »Worauf wollt Ihr hinaus?«
»Er fordert sie von dir, weil du ihre Hüterin bist«, erklärte Pulver. Noch immer hielt er die alte Sohle in der Hand, nun legte er sie auf den Fußabdruck auf dem Altar. Sie passte genau.
Ohne Umschweife stieg Pulver auf den Altarstein.
»Meister Pulver!«, rief Elyra entsetzt. »Kommt sofort da herunter!«
»Ja doch«, beschwichtigte er und richtete sich auf dem Altar auf. Über ihm schwebte, zum Anfassen nahe, die Statue der Göttin, mit Hilfe der Magie aus Quecksilber geformt. Er holte tief Luft und stieß seine Hand in die schimmernde Oberfläche. Ein Kribbeln und wohlige Wärme durchliefen seinen Arm, als er den linken Fuß der Statue, ohne einen Widerstand zu spüren, durchfuhr, im rechten Fuß fand sich dann etwas Hartes.
Elyra zog bereits mit aller Macht an seinem Bein, und selbst Barius schien über alle Maßen erzürnt. »Wie könnt Ihr nur?«, rief die junge Priesterin verzweifelt. »Das ist ein Sakrileg, ich dachte, Ihr liebt die Herrin der Welten!«
Schon im nächsten Moment sprang Pulver wieder vom Altar herab.
»Da ist sie«, teilte er ihnen mit belegter Stimme mit. »Dort versteckt, wo nur die Göttin sie sehen kann.« Er hielt Elyra hin, was er aus dem Quecksilber der Statue geborgen hatte. Es war ein breiter schimmernder Reif, reich mit Edelsteinen besetzt und von einem sorgsam gearbeiteten Greifen überragt, dessen Flügel den Träger des Reifs wie ein Helm schützen würden.
»Die Krone von Lytar«, hauchte Elyra ergriffen.
»Nimm sie an dich«, sagte Pulver mit rauer Stimme. »Du bist ihre Wächterin und hütest von nun an das Erbe des Greifen.«
»Also wurde die Krone tatsächlich gefunden«, stellte Lamar fest. »Aber wie ist das möglich, wo Elyra in ihrer Vision doch sah, dass sie sie an den dunklen Prinzen übergab?«
»Das ist eine Geschichte für einen anderen Tag«, meinte der alte Mann. Er stand auf und streckte sich, und Lamar konnte das Knacken der alten Knochen hören. »Jetzt muss ich mir ein wenig die Beine vertreten.«
»Willst du nicht weitererzählen, Großvater?«, fragte Saana vom Schoß ihrer Mutter aus. Sie wirkte etwas verschlafen und rieb sich die Augen.
»Heute nicht mehr, meine Kleine«, sagte der alte Mann lachend. »Es ist schon spät, zu spät für dich.«
»Aber ich bin ja noch wach!«, protestierte sie.
»Das mag sein«, gab der alte Mann zu. »Aber morgen bist du auch wieder ausgeschlafen.«
Es gab noch weitere Proteste aus dem Gastraum, aber der alte Mann hatte Recht, es war schon spät geworden. Im Laufe des Tages hatten einige der Zuhörer dem guten Bier und Wein so reichlich zugesprochen, dass der eine oder andere von ihnen nun nicht mehr allzu sicher auf den Beinen schien.
»Morgen ist auch noch ein Tag«, rief der Wirt. »Dann geht es weiter!« Er sah den alten Mann fragend an. »Das wird es doch, oder?«
»So schnell wird die Geschichte nicht zu Ende sein«, rief dieser lachend. »Aber jetzt möchte ich mir etwas Ruhe gönnen und ein paar Freunde begrüßen, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe.«
Er streckte sich erneut, griff sich eine nasche und seinen Becher, winkte noch einmal in die Runde, und begab sich dann zum Ausgang.
»Habt Ihr etwas
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