Das Erbe des Greifen
turmhoch beladenen Reisigkörben auf dem Rücken schwerfällig in Richtung Dorf bewegten, ohne weitere Vorkommnisse.
»Ist denn heute Markttag im Dorf?«, erkundigte sich Vanessa bei der Bardin, doch diese schüttelte nur den Kopf. »Der Tempeltag, der üblicherweise auch der Markttag ist, findet erst übermorgen statt.«
Während sie langsam an den Bauern vorbeiritten, fiel Garret ein alter Mann auf, der wegen der schweren Last, die er auf seinem Rücken trug, kaum mehr imstande war zu gehen. Sein hoher Korb, in den Garret vom Pferd aus hineinsehen konnte, war bis über die Hälfte mit Kartoffeln gefüllt. Der Schweiß lief dem Alten in Strömen das Gesicht hinab, immer wieder musste er anhalten und, schwer keuchend auf seinen Wanderstab gestützt, eine Weile ausruhen. Zu Fuß war es nach Mislok nur noch eine halbe Wegstunde, dennoch befürchtete Garret, dass der Mann zusammenbrechen würde, bevor er sein Ziel erreichte.
»Der Göttin Segen mit Euch, Väterchen«, grüßte Garret den Mann höflich. »Ich sehe, Ihr seid schwer beladen, wohin der Weges, mit so vielen Kartoffeln?«
Der Mann blieb stehen und warf Garret unter der Krempe seines breiten Strohhutes einen misstrauischen Blick zu.
»Den Göttern zum Gruße«, antwortete er dann und stützte sich auf seinen knorrigen Eichenstab. »Wohin des Weges, so schwer gerüstet und ohne Kartoffeln?«
Worauf Vanessa lachte, Tarlon schmunzelte und selbst die Bardin amüsiert wirkte.
Und auch Garret lachte.
»Eine Frage auf eine Frage? Nun, denn gebe ich Euch meine Antwort zuerst. Wir sind auf dem Weg nach Mislok. Es soll dort einen guten Gasthof geben.«
»Einen Marktplatz hat das Dorf auch«, gab der Mann zurück und zeigte eine Zahnlücke, als er leise lachte.
»Ich hörte, es sei kein Markttag heute?«
»Seht Ihr, und ich hörte, der Gasthof wäre voll«, grinste der Mann. »Ein Zeugmeister des Kanzlers Belior hat sich dort eingenistet. Zehn Wagenzüge hat er mitgebracht und kauft nun alles auf, was man ihm bringt.« Der alte Mann spuckte auf den Boden. »Gutes Gold soll es dafür geben.«
»Ihr klingt nicht besonders erfreut darüber?«, meinte Garret, während die anderen untereinander Blicke tauschten.
»Erfreulich ist allein, dass der Kerl gut zahlt. Dass er dort ist, behagt allerdings niemandem.« Er sah zu Garret hoch und musterte dann die anderen, während er weitersprach. »Dies ist Greifenland. Thyrmantor hat hier nichts zu suchen.« Sein Blick blieb an der Bardin hängen, und seine Augen weiteten sich leicht.
»Sagt, Sera«, begann der Mann zögernd. »Habe ich Euch nicht schon mal gesehen? So vor … Götter, es muss vor um die vier Dutzend Jahre gewesen sein? Ich war damals noch ein Kind, und Ihr habt am Brunnen in Mislok gesessen und uns Kindern Geschichten erzählt.«
Die Bardin schüttelte bedauernd den Kopf, doch Garret nickte zustimmend.
»Es ist eine ihrer Angewohnheiten, und sie ist weit älter, als sie aussieht«, lachte er und ignorierte ihren scharfen Blick. »Doch sagt uns, Ser, warum nennt Ihr dies die Greifenlande?«
»Weil sie es sind«, antwortete der alte Bauer und richtete sich trotz der Last auf seinem Rücken zu voller Größe auf. »Dieses Land ist das Land des Greifen und wird es immer sein. Und nur weil wir keinen König mehr haben, heißt das noch lange nicht, dass so ein dahergekommener Kerl aus Thyrmantor sich unser Land unter den Nagel reißen kann!«
»Ihr bestellt Euer eigenes Land?«, fragte Garret neugierig, doch der alte Mann schüttelte den Kopf.
»Nein, es ist Kronland. Meine Familie bestellt es seit Generationen, auch wenn der Baron, unser derzeitiger Herr, mögen ihn die Götter strafen, mit dem Landzins wuchert wie kein Zweiter. Aber er gehört immerhin dem Greifenland an, und so wird er, egal was für süße Worte der Gesandte Beliors ihm auch ins Ohr haucht, diesen doch wohl hoffentlich nicht erhören!«
»Das klingt nicht gerade so, als ob Ihr mit Eurem Baron sehr zufrieden wäret«, stellte Garret fest.
»Das hört sich an, als wäret Ihr sehr neugierig«, erwiderte der Bauer und zeigte erneut seine Zahnlücke. »Aber wenn Ihr Eure Neugier befriedigt haben wollt, junger Ser, könntet Ihr wohl auch etwas für mich tun.«
»Das ist nur gerecht, Väterchen. Was begehrt Ihr?«
»Eure Pferde haben einen breiten Rücken, und es findet sich gewiss ein Sattelhorn an ihnen, an dem ich meinen Korb festmachen kann? Wenn ja, will ich Euch gerne ins Dorf begleiten und Euch währenddessen Rede und Antwort
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