Das Erbe des Greifen
tatsächlich nur froh, dass sie noch leben, und haben einfach genug vom Krieg und Militärdienst.«
Elyra nickte. »Nun, ich habe sowieso noch nie verstanden, was am Kriegführen so faszinierend sein soll. Niemand, den ich kenne, will Krieg.«
»Hast du da nicht Marten vergessen?«, fragte Astrak, und Elyra seufzte.
»Ja. Marten. Eines unserer Opfer in diesem Krieg. Doch um noch einmal auf die Priester des Darkoth zurückzukommen. Sollten wir noch einen in unsere Hände bekommen, will ich ihn unbedingt sehen und befragen können. Je mehr wir von ihnen erfahren und wissen, umso besser. Weißt du, weshalb diese Priester überhaupt hier in Alt Lytar waren?«
»Vater sagt, Kanzler Beliors engster Beraterstab bestünde immer und überall aus ihnen. Der Kanzler muss also entweder ein fanatischer Anhänger des Gottes sein oder aber selbst einer seiner Priester. Vater meint jedenfalls, dass Darkoths Priester nichts anderes als Beliors politische Kettenhunde wären, die mit Angst und Schrecken die Leute zum Gehorsam zwingen. Räudige Hunde aber erschlägt man.«
»Hat er das gesagt?«, fragte Elyra.
»Nein, das sage ich«, entgegnete Astrak.
»Man kann aber nicht jedes Problem einfach erschlagen. Und schon gar nicht Menschen.«
»Manche schon. Schau«, fügte er hinzu und deutete zum Zelteingang. »Da kommt Meister Ralik. Das bedeutet, dass Vater jetzt allein ist und Zeit haben dürfte.« Beide beobachteten, wie der Zwerg über den Platz und an zwei Gefangenen vorbei stapfte, die gerade mit einem langen Hebel versuchten, einen der größeren Geröllbrocken zu bewegen, nun aber furchtsam in ihrer Arbeit innehielten, bis der Radmacher an ihnen vorbei war.
»Recht haben sie«, bemerkte Astrak. »Ich gehe Meister Ralik zur Zeit auch lieber aus dem Weg … Er ist so wütend, seitdem Argor tot ist, dass ich stets befürchte, er könnte beim kleinsten Anlass etwas Schreckliches tun. Es ist, als trüge er einen Gewittersturm in sich, der bereits seine Blitze vorausschickt.« Er schüttelte den Kopf. »Ich möchte jedenfalls nicht in Beliors Schuhen stecken, wenn Meister Ralik ihn zu fassen bekommt.«
»Ich dagegen möchte nur allzu gern dabei sein«, antwortete Elyra mit einem grimmigen Lächeln und eilte dann hoch zum Zelt, damit ihr nicht noch jemand zuvorkommen und Meister Pulver in Beschlag nehmen konnte.
Elyra fand Pulver in seinem Zelt, wie er, hinter einem großen Schreibtisch sitzend, eine vergilbte, brüchige Karte studierte. Es war eine Karte der alten Stadt vor dem Kataklysmus. Sein Gesicht war in sorgenvolle Falten gelegt.
»Meister Pulver«, begann Elyra höflich. »Habt Ihr einen Moment Zeit für mich?« Meister Pulver blickte auf und war offensichtlich über ihr Kommen erfreut, denn er legte sofort die Karte zur Seite und lächelte sie an.
»Für dich auf jeden Fall, wenn du nicht gerade neue sorgenvolle Nachrichten bringst.«
»Ich hoffe nicht«, antwortete Elyra und nahm, nach einer Geste des Alchimisten, auf einem der lederbezogenen Stühle vor dem großen Schreibtisch Platz. Unauffällig blickte sie sich um und bemerkte, dass sich in den letzten Tagen im Inneren des Zeltes noch viel getan hatte.
Das große Zelt war mit weiteren Planen mehrfach unterteilt worden. Neben dem einfachen Feldbett, dessen zerwühlte Laken von einer unruhigen Nacht zeugten, standen drei große offene Schränke, in denen sich alle Bücher, die man in der Börse gefunden hatte, sowie Schriftrollen, Karten und noch viele andere Dingen befanden. Vor einem der Regale hing ein Bild, aus dessen Rahmen einem eine junge Frau entgegenblickte, die eine deutliche Ähnlichkeit mit Astrak aufwies. Es zeigte Pulvers Frau, die kurz nach der Geburt ihres Sohnes gestorben war. Elyra sah es zum ersten Mal, denn Pulvers Haus stand etwas außerhalb Lytaras, nachdem ihm der Rat aufgrund seiner Experimente nahe gelegt hatte, etwas abseits ein neues zu bauen. Es war eines der wenigen Häuser im Dorf, die Elyra noch nie besucht hatte.
Zudem wusste Elyra bis zum heutigen Tag nicht recht, was sie von Pulver halten sollte. Wie viele andere auch hatte sie ihn immer für einen Scherzbold gehalten. Für einen Mann, der nichts wirklich ernst nahm. Doch während der letzten Wochen hatte sich ihr Bild von ihm gewandelt.
Seit Beliors Überfall auf das Dorf war keine wichtige Entscheidung ohne ihn gefällt worden, auch hatte sich mehrfach gezeigt, wie gelehrt der Alchimist war und dass es kaum ein Gebiet gab, auf dem er nicht über ein fundiertes Wissen
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