Das Erbe des Loewen
Stratheas geritten und gefangen genommen worden.
Kälte. Kälte und Schmerz.
Sie rissen Laurel aus dem dunklen Kokon, in den sie sich geflüchtet hatte. Sie wollte daraus nicht hervorkommen. Hier war sie sicher. Sicher und warm. Doch die Kälte war unbarmherzig und der Schmerz zermürbend.
Langsam kehrte ihr Bewusstsein zurück und damit die Grausamkeit ihrer Lage. Gefesselt an Armen und Beinen, lag sie auf dem Boden, wohin Aulay sie gestoßen hatte. Ihre schlimmste Befürchtung war wahr geworden. Sie war Aulays Gefangene.
Vorsichtig hob sie den Kopf und nahm ihre Umgebung wahr. Sie lag auf der Seite in der hintersten Ecke einer Höhle. Es war dieselbe Höhle, in der sie und Kieran vor wenigen Tagen Zuflucht gesucht hatten. O Kieran. Ich liebe dich so sehr. Die Erinnerung, wie sie sich in Zorn und Angst getrennt hatten, schmerzte. Würde sie ihn jemals wieder sehen, um ihm alles erklären zu können?
Verzweifelt sah Laurel zu der Öffnung der Höhle. Es war der einzige Ausweg zur Freiheit, nach der sie sich so sehr sehnte. Da züngelte ein Feuer auf und warf dürftiges Licht auf die zwei Männer, die sich darüber beugten. Aulay und Henry Percy. Die anderen vier mussten nach etwas Ausschau halten ...
Nach Kieran. Laurel wurde das Herz schwer. Wenn er käme, würde es in Eile und Verzweiflung sein. All seine Gedanken wären auf ihre Sicherheit gerichtet, ohne dass er auf sich selbst achten würde. Sie musste versuchen, ihn zu finden.
Laurel schloss die Augen und dachte an Kieran. Sein Bildnis in Gedanken hervorzurufen war leicht, doch es war ... sein Gesicht, das sie zuletzt im Geheimgang sah. Die Züge waren schmerzverzerrt, die Augen strahlten eine stumme, tief empfundene Botschaft aus. Liebe. Er liebte sie. Das wenigstens bestärkte sie. Sie liebte und wurde geliebt.
„Du bist also wach.“ Aulay stand hoch aufragend vor ihr in der Dunkelheit.
Laurel krümmte sich. „Ich ... ich habe gebetet.“
Er hockte sich neben sie. „Nicht einmal Gott ist in der Lage, dich von mir zu erlösen.“ Er packte sie am Arm und zerrte sie hoch. „Gut, du hast Angst vor mir. Ich will deine Angst auskosten. Ich möchte dich zerfleischen, wie dein Hund es mit mir tat, und dich in den eisigen Fluss werfen. Unter all den Schmerzen und voll Blut, ohne zu wissen, ob du ertrinken wirst oder verblutest. Doch zuerst werde ich als Mann das tun, was man mit einer Frau macht, die man hasst. Ich ... “
„Aulay. Lass sie zufrieden“, rief Henry.
„Sie ist mein Weib“, sagte Aulay.
„Sie ist unsere Geisel. Wenn meine Männer ankommen, werde ich sie tauschen gegen den freien Durchgang durch das Tal. Bis dahin soll sie allein bleiben.“
Aulay fluchte und stieß sie mit solcher Kraft von sich, dass sie mit dem Kopf gegen die Felswand schlug. Er sah es und lachte. „Geschieht dir recht.“
Durch die Tränen des Schmerzes sah Laurel, wie er zurück ans Feuer trat. Henry würde ein noch schlechterer König sein als der jetzige. Es dämmerte ihr, wie viel auf dem Spiel stand. Nicht nur ihr Leben, sondern das Schicksal ganz Schottlands. Sie musste Kieran finden.
19. KAPITEL
Es war weit nach Mitternacht, als Kieran und Ross mit zwei Spähern der MacLellans den Edin-Pass verließen. Der Wind hatte aufgefrischt und trieb dichte Wolken vor den Mond. In diesem Wechsel von Hell und Dunkel ritten sie in südlicher Richtung den Fluss entlang. Von hier aus erstreckten sich schmale Schluchten wie die Gräten eines Fisches.
„Kein Wunder, dass Henrys Heer nicht bis hierher vordrang“, sagte Ross, als er die zerklüfteten Ufer betrachtete. „Das ist der beste Ort für einen Hinterhalt.“ Zum Beweis seiner Worte tauchte plötzlich ein schwarz gekleideter Mann vor ihnen auf.
„Das ist Sim.“ Kieran stieg vom Pferd.
„Ihr Lager ist hinter dem Hügel“, flüsterte Sim.
Kieran nickte. „Habt ihr Laurel gesehen?“ fragte er, als sie ihre Pferde an die Birkenstämme banden.
„Nein. Wir waren bereits hier, als die Engländer aus dem Süden kamen und ihre Zelte aufschlugen. Wenig später sind drei Mann in die Lowther Hills geritten. Keiner von ihnen kam bisher zurück.“
„Gut.“ Kieran wusste nicht, ob er erleichtert sein sollte oder nicht. Wenn Laurel im Lager war, war sie bei einem Angriff in großer Gefahr, doch wenn Sim sie gesehen hätte, dann wüsste er wenigstens ...
„Sie werden ihr nichts tun“, sagte Ross mit fester Stimme. Er nahm Kieran bei den Schultern. „Sie ist viel zu wertvoll als Geisel.“
„Ja.“
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