Das Erbe des Loewen
Sie drückte einen Kuss auf seine Stirn und fuhr ihm mit den Fingern über das Köpfchen. Die Stärke ihrer Gefühle für dieses winzige Menschenkind fegte alle Zweifel über seine Herkunft hinweg. Und wenn sie sich niemals wieder daran erinnern sollte, was damals in der Höhle geschah, wenn sie niemals sicher sein konnte, wer sein Vater war, sie liebte ihn trotzdem von ganzem Herzen.
Ross Lionel Sutherland zwickte die Augen zusammen, öffnete sein Mündchen und begann lauthals zu brüllen.
„Oh, Ross, bitte, sei ruhig“, flehte Laurel. „Sie halten mich sonst für eine Rabenmutter.“
Kieran stieß die Tür auf. „Ist er krank?“
„Nein. Nur aufgeregt.“
„Gib ihn mir.“ Er nahm das schreiende Kind, legte es an seine Schulter und tätschelte ihm liebevoll den Rücken. Ross hörte sofort auf zu weinen.
„Verräter“, sagte Laurel und nahm wenig später einen Becher Wein, während ihre Verwandten sich um Kieran drängten und das Baby liebkosten.
„Mein kleiner Lion war genauso“, sagte Elspeth. „Ich hatte all die Arbeit, und wenn ihn etwas störte, dann zog er die Umarmung seines Vaters der meinen vor. Der Anblick eines Kindes, das in den Armen eines großen, starken Mannes liegt, berührt mich jedoch immer wieder.“
Laurel lächelte. „Ja. Erstaunlich, wie zart starke Männer sein können.“
„Er war immer schon sehr zärtlich“, sagte seine Tante. „Ross sagt, wir haben es dir zu verdanken, dass der Bruch zwischen uns geheilt ist.“
„Alles, was ich tat, war, ihn zu lieben“, sagte Laurel. Wie er auch mich liebt. Wie sehr hatte die Liebe sie beide doch verändert.
„Oh, ist er nicht niedlich. Elspeth, sieh doch.“ Megan hatte nun den Kleinen auf ihrem Schoß. Die anderen standen um sie herum und blickten stolz auf das Kind, das Megan aus den Decken gewickelt hatte. „Sieh, wie groß er ist. Eines Tages wird er ebenso stark sein wie sein Vater.“
Laurel hoffte es. Aulay war einen halben Fuß kleiner als Kieran gewesen. Der Säugling winkte mit beiden Händchen seinen staunenden Bewunderern zu.
„Ross war gerührt, dass ihr das Kind nach ihm genannt habt“, sagte Megan mit leuchtenden Augen.
„Sieh dir seine Zehen an.“ Elspeth saß neben Megan und blickte die nackten Füßchen an. „Sie sind ganz gerade ... alle gleich lang, ebenso wie jene von Ross und meine.“
Laurel kam näher und blickte die Zehen an. Auch Kieran kam dazu. Hoffnung flackerte in ihr auf. Sie hob den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Über die gebeugten Köpfe ihrer Familie leuchtete Kierans Blick zärtlich und voll Zuversicht. Eine Erinnerung an seine ungebrochene Liebe und Zuneigung.
„Ich glaube, er hat Kierans Augen“, sagte Megan. „Zuerst sahen sie blau aus wie Laurels, aber seht doch, hier ist eine Spur Violett, wenn die Sonne darauf scheint.“
So war es auch. Laurel blickte ihrem Sohn in die Augen. Er lächelte sie an, und ein Grübchen erschien in seiner linken Wange. „Er hat dein Grübchen“, sagte sie zu Kieran.
„Ich habe kein Grübchen.“
Doch, sie wusste es. Er hatte ein Grübchen und gerade Zehen und wundervolle violette Augen. Ross Lion war Kierans Sohn. Ihr Gatte trat zu ihr und legte den Arm um sie, als er ihr Erstaunen und ihr Glück spürte. „Kieran ...“
„Ja.“ Er lächelte sie an. „Ich liebe ihn nicht mehr und nicht weniger als zuvor, doch ich bin so dankbar, dass diese Bürde von dir genommen ist, mein Liebes“, flüsterte er.
„Laurel! Laurel!“ Collie stürmte herein. „Rhys sagt, Tante Nessies Zeit ist gekommen, und du wirst auf Edin Tower gebraucht.“
Mit Laurels und Chrissys Hilfe kam Nestas Kind bei Sonnenuntergang auf die Welt. Ein kleines Mädchen mit dem schwarzen Haar seines Vaters und den blassen Augen seiner Mutter.
„Sie ist wunderschön“, sagte Laurel, als sie die Kleine in die Arme des Vaters legte.
„Ich bin froh, dass es vorbei ist.“ Mit zitternden Knien durchschritt Rhys die Kammer und setzte sich an den Rand des Bettes. „Du siehst besser aus, als ich mich fühle.“
Nesta lächelte müde. „Sie ist ein hübsches Mädchen und den Schmerz wert, den es kostete, sie auf die Welt zu bringen.“ Ihr Blick wanderte von ihrem Gatten und ihrem Kind zu Laurel. „Ich bedauere nur, dass Laurel jetzt die Riten zu Beltane alleine
ausführen muss.“
„Ich mache das schon“, versicherte Laurel, doch es war ein langer und anstrengender Tag gewesen. Sie wollte viel lieber in ihr Bett, als die Zeremonie des Feuers anzuführen. Sie
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