Das Erbe des Loewen
der ihren Blick verdunkelte, tat ihm weh. Laurel ließ die Hände sinken und schritt der Kerze entgegen, wie eine Gefangene, die zur Galeere geführt wurde.
„Was ist dir?“ fragte er aufrichtig besorgt.
Wage ich es, ihm die Wahrheit zu sagen? Wenn sie es nicht tat, wie konnte sie von ihm erwarten, dass er ihr Vertrauen schenkte? Und das wollte sie, brauchte sie, um ihn zu verstehen. „Ich hatte eine Vision“, sagte sie, die Stimme heiser und tief. „Ich ... ich erwarte nicht, dass du mir glaubst ...“
Was ging hier vor? Angezogen von Neugier wie von ihrem niedergeschlagenen Ton, vergaß Kieran, dass er sich geschworen hatte, sich von ihr zu lösen, und trat an ihre Seite. „Was für eine Vision?“
Die Frau, die ihm schon dreimal mit der Wut einer Löwin begegnet war, bebte.
„Die Frauen in meiner Familie sind Seherinnen.“ Sie spannte sich an, als ob sie erwartete ... ja, was?
„Ich habe von solchen Menschen reden hören.“
„Du glaubst an sie?“
Ihre Augen bargen ein solches Verlangen, dass seine zynische Antwort auf seinen Lippen erstarb. „Ich glaube an nichts, was ich nicht sehen oder berühren kann“, sagte er langsam. „Doch ich wurde von meiner Tante und meinem Onkel in den Highlands aufgezogen. Die Menschen dort glauben an Zauberei und derlei Dinge. Ihr zweiter Sohn, Daibidh, wird bereits als Druide betrachtet.“
„Dann kennst du also die Geschichten der Alten?“ Sie hob den Kopf, um seinem Blick zu begegnen. Der Geruch von Heidekraut mischte sich mit dem verführerischen Duft einer Frau. Kieran fühlte die Erde unter sich beben. Er wusste, je länger
er sie ansah, desto früher würde er dem Zauber ihrer großen blauen Augen und ihres wilden flammend roten Haars verfallen. Er nahm alle Kraft zusammen und sagte: „Was hat es mit dieser Vision auf sich?“
Sie seufzte, und dieses Seufzen rührte sein Gewissen, dem er bereits seit langem abgeschworen hatte. „Wenn du nicht an Visionen glaubst, dann ist es sinnlos, mit dir darüber zu reden.“
„Warum? Hast du geträumt, du musst diese verdammten Kräuter sammeln, die dir so sehr am Herzen liegen?“ wollte er wissen. Gleichzeitig bekämpfte er den Drang, sie fest an sich zu drücken, um sie in ihrem Schmerz zu trösten.
„Es waren nicht die Kräuter.“ Zorn rötete ihre Wangen. „Ich nehme an, dass du keine Ruhe geben wirst, bis ich dir alles gesagt habe.“ Als ob auch sie Abstand zu ihm halten wollte, wandte sie sich dem schmalen Fenster zu und blickte in die Nacht hinaus. „Ich sah in einer Vision zwei Männer, die in den Wäldern lauerten.“
Nebel war vom See her in den Burghof gedrungen. Das gedämpfte Licht der Fackeln gab ihrem Antlitz einen güldenen Schimmer, als würde sie von innen heraus glühen. Ja, sie war voll Wärme und mit Licht erfüllt. Dinge, die er seit Jahren in seinem Leben vermisste. Deren Mangel er bis jetzt nicht bereut hatte. Er war sich nicht bewusst gewesen, wie kalt und finster sein Leben war, bis er sie getroffen hatte. „Warum hast du es nicht deinen Clansleuten erzählt?“
Sie errötete. „Ich ... ich hatte Schwierigkeiten, meine Träume in der Vergangenheit auszulegen, doch diesmal schien es so eindeutig, dass ich dachte ..." Sie seufzte. „Ich habe versucht, es unbeachtet zu lassen, indes, ich konnte es nicht. So bin ich losgeritten ...“
„Und hast dich damit in tödliche Gefahr gebracht. Wenn wir nicht rechtzeitig gekommen wären ...“
„Dann hätte man mich getötet ... oder noch schlimmer, man hätte mich als Geisel genommen und Großvater zur Aufgabe gezwungen.“
So furchtbar das auch gewesen wäre, Kieran musste an ein weitaus schrecklicheres Schicksal denken: Man hätte ihr Gewalt antun können. Der Gedanke daran, dass Laurel geschunden, geschlagen an Körper und Seele sein könnte, schnürte ihm die Kehle zu.
„Ich gebe zu, ich wollte, dass du Edin Valley verlässt, doch ich danke dir für meine Rettung“, sagte sie leise und aufrichtig.
Kieran zuckte zusammen. Aus einem unerklärlichen Grund traf Laurels Verhalten ihn tief. „Warum willst du, dass ich gehe?“
Sie runzelte die Stirn und zuckte die Schultern. „Ich weiß es selbst nicht. Mein Clan braucht dich, wenn wir diese plündernden englischen Basta...“
„Englisch?“ rief Kieran aus.
„Ja. Einer von ihnen war Engländer.“
„Wenn sich an der Grenze nichts geändert hat, so sind wir von räuberischen englischen Horden umzingelt.“
„Das ist wahr. Trotzdem ist es ungewöhnlich, dass sie so
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