Das Erbe des Zauberers
und her, schnupperte mehrmals – und leerte es in einem Zug.
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, aber die Augen wurden feucht, und ein rötlicher Schimmer überzog die Wangen. Die Kehle zitterte leicht. Seine Frau und Esk sahen, wie Schweiß auf Skillers Stirn perlte. Zehn Sekunden verstrichen, und der Wirt erweckte den Anschein, als wolle er um jeden Preis einen mühsam errungenen Rekord brechen. Vielleicht quoll ihm Dampf aus den Ohren, aber wahrscheinlich war das nur ein Gerücht. Die Fingerkuppen des Wirts klopften in einem sonderbaren Rhythmus auf den Tresen.
Schließlich schluckte er und rang sich offenbar zu einer Entscheidung durch. Er richtete einen ernsten Blick auf Esk und fragte: »Whasch iss argh dasch pfür mphf e’n Scheug?«
Er runzelte die Stirn, als er den Satz in Gedanken wiederholte und beschloß, einen zweiten Versuch zu unternehmen.
»Argh mphf grmpf?«
Er gab auf.
»Liebghr Himmphf!«
Seine Frau schnaufte abfällig und nahm ihm das Glas aus der erschlafften Hand. Sie roch daran. Sie betrachtete die insgesamt zehn Fässer. Sie begegnete Skillers flackerndem Blick. In einem ganz privaten, für zwei Personen reservierten Paradies berechneten Wirt und Wirtin den Verkaufserlös von sechshundert Gallonen dreifach destilliertem Pfirsichschnaps. Als es darum ging, zwei fünfstellige Zahlen miteinander zu multiplizieren, seufzten sie synchron.
Frau Skiller verstand wesentlich schneller als ihr Mann. Sie bückte sich, musterte Esk und versuchte, strahlend zu lächeln. Es gelang ihr nicht so recht, denn in dieser Hinsicht hatte sie nur wenig Übung, Eskarina war viel zu müde, um durchdringend zu blicken.
»Wie bist du hierhergekommen, kleines Schätzchen?«, fragte Frau Skiller in einem Tonfall, der Vorstellungen von Pfefferkuchenhäuschen und der zuklappenden Tür eines großen Backofens weckte.
»Ich habe Oma Wetterwachs aus den Augen verloren und mich verlaufen.«
»Und wo ist deine Oma jetzt, Kindchen?«
Kleine Flammen, die unter dem Backofen züngelten: Allen Wanderern im metaphorischen Wald stand eine gefährliche Nacht bevor.
»Irgendwo, nehme ich an.«
»Was hältst du davon, in einem weichen und warmen großen Federbett zu schlafen?«
Esk nickte dankbar und nahm nur unterbewußt zur Kenntnis, daß die Züge der Frau nicht unerhebliche Ähnlichkeit mit denen eines hungrigen Frettchens aufwiesen.
An dieser Stelle wird der aufmerksame Leser völlig zu Recht vermuten, daß sich für Eskarina gewisse Probleme anbahnten …
Unterdessen marschierte Granny unweit der Schenke durch eine Gasse. Jemand anders an ihrer Stelle hätte vermutlich bereitwillig zugegeben, sich verirrt zu haben, doch Oma Wetterwachs stellte die berühmte Ausnahme der Regel dar. Sie vertrat den Standpunkt, genau zu wissen, wo sie sich befand – ihre Schwierigkeiten basierten auf dem bedauerlichen Umstand, daß alles andere nicht den üblichen Platz einnahm.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß es weitaus schwieriger ist, ein menschliches Bewußtsein zu orten als zum Beispiel die Gedankensphäre eines Fuchses. Nun, der menschliche Verstand mag dies als eine Beleidigung empfinden, und deshalb sollen hier die Gründe erläutert werden.
Animalische Selbstkomplexe sind überhaupt nicht komplex, sondern eher schlicht und deshalb recht scharf ausgeprägt. Tiere verbringen ihre Zeit nicht damit, Erfahrungen zu sezieren und darüber nachzugrübeln, was sie verpaßt haben. Für sie läßt sich die Erlebnispalette des Universums folgendermaßen zusammenfassen: Geschöpfe, mit denen man sich a) paaren kann, die b) als Futter dienen und es c) angeraten erscheinen lassen, die Flucht zu ergreifen. Hinzu kommen d) Steine und Felsen. Eine derartige Perspektive befreit den Geist von unnötigem Ballast und macht ihn zu einem sehr nützlichen Werkzeug in Hinblick auf die eigentlich wichtigen Dinge. Zum Beispiel versucht ein normales Tier nie, zu gehen und gleichzeitig Kaugummi zu kauen.
Mit dem durchschnittlichen Menschen hingegen ist es völlig anders: Rund um die Uhr denkt er über die verschiedensten Dinge nach, auf allen mentalen Ebenen. Er unterbricht diese Gedankengänge nur, wenn er dem Gebot von Uhren gehorchen muß oder wenn ihn irgend etwas an den einprogrammierten biologischen Kalender erinnert. In seinem Bewußtsein wimmelt es von Überlegungen, die an Zunge und Lippen weitergegeben werden, in die Kategorie ›privat und persönlich‹ fallen oder sich auf die Kellergewölbe des Ichs beschränken.
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