Das Erbe des Zauberers
zitternde Finger nach ihm griffen, doch eine unsichere Hand hielt ihn fest, bevor er zu Boden fallen konnte. Ganz langsam ließ Skiller den Atem entweichen.
Deshalb hatte er kaum genug Luft, um laut zu schreien, als sich der Stab bewegte. Er fühlte kalte Schuppen, darunter stahlharte Muskeln …
Esk setzte sich ruckartig auf und sah gerade noch, wie Skiller die steile Leiter hinabpolterte. Er ruderte wild mit den Armen und schien sich von einem unsichtbaren Gegner befreien zu wollen. Ein zweiter, etwas schriller klingender Schrei folgte, als der Wirt auf seiner Frau landete.
Der Stab lag auf dem Boden, eingehüllt in oktarines Glühen.
Eskarina kroch aus dem Bett und näherte sich der Tür. Sie hörte einige Flüche, an die sich ein entsetzt klingendes Keuchen anschloß. Als sie nach unten spähte, blickte sie direkt in das breite Gesicht Frau Skillers.
»Gib mir den Stab!«
Esk bückte sich und hob den langen Stock auf. »Nein«, sagte sie, »er gehört mir.«
»Er eignet sich nicht als Spielzeug für kleine Mädchen«, erwiderte die Wirtin scharf.
»Er gehört mir«, wiederholte Esk und schloß die Tür. Einige Sekunden lang lauschte sie dem Murmeln und Brummen im Treppenhaus und überlegte, was sie jetzt unternehmen sollte. Wenn sie Herr und Frau Skiller in irgend etwas verwandelte, kam es sicher nur zu einem Durcheinander, und außerdem wußte sie nicht genau, wie man das bewerkstelligte.
Eigentlich funktionierte die Magie nur, wenn sie nicht daran dachte. Sie schien sich irgendwie an bewußten Gedanken vorbeizumogeln.
Eskarina durchquerte den Raum und öffnete das Fenster. Die charakteristischen Nachtdüfte der Zivilisation wehten ihr entgegen: nasse Straßen, schlafende Gartenblumen, irgendwo ein voller Abort. Feuchte Schindeln glänzten im Licht der Sterne.
Als sie hörte, wie Skiller erneut die Treppe heraufkam, schob sie den Stab aufs Dach, kletterte aus dem Fenster und stützte sich am Rahmen ab. Die Schindeln neigten sich einem kleinen Anbau entgegen, und Esk hielt sich einigermaßen gerade, als sie über den schlüpfrigen Untergrund rutschte. An der Dachrinne verharrte sie, blickte auf einige Tonnen herab, die gut anderthalb Meter unter ihr standen, sprang und lief geduckt über den Hinterhof der Schenke.
Skiller eilte an seiner Frau vorbei und klopfte auf das nächste Faß. Er zögerte kurz, bevor er den Deckel hob.
Der aromatische Duft von Pfirsichschnaps zog verlockend durchs Zimmer, und der Wirt seufzte erleichtert.
»Hast du Angst, das Zeug hat sich in was Gräßliches verwandelt?«, fragte seine Frau. Er nickte.
»Wenn du dich nicht so dumm angestellt hättest …«, begann sie. »Der verdammte Stab war bissiger als ein tollwütiger Hund!«
Skiller schüttelte den Kopf. »Ich glaube, es ist mehr nötig als nur ein Zauberstab, um Magier zu sein«, erwiderte er. »Außerdem habe ich gehört, daß solche Leute nicht heiraten dürfen. Es heißt, es sei ihnen sogar verboten …«
Er brach ab.
Frau Wirtin sah ihn fragend an. »Was ist verboten?«
Skiller zuckte verlegen mit den Schultern. »Nun, du weißt schon. Gewisse … Sachen.«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon du sprichst«, sagte seine Frau energisch.
Eine folgenschwere Entdeckung am nächsten Morgen bestätigte ihn in dieser Ansicht. Der Pfirsichschnaps in den zehn Fässern hatte sich tatsächlich in etwas Gräßliches verwandelt.
Esk wanderte ziellos durch die grauen Straßen Ohulans und gelangte schließlich zu den kleinen Docks am Fluß. Breite flache Kähne dümpelten träge an den Molen, und aus dem einen oder anderen Schornstein kräuselte dünner Rauch, den sie mit Vorstellungen von Wärme und Behaglichkeit verband. Esk kletterte über die nächste Reling, und mit Hilfe des Zauberstabs hob sie die Plane, die einen großen Teil des Bootes bedeckte.
Sie nahm einen würzigen Geruch wahr, eine Mischung aus Lanolin und Mist. Der Kahn hatte Wolle geladen. Es ist töricht, auf einem unbekannten Schiff zu schlafen, ohne zu ahnen, welches Ufer man am nächsten Morgen sieht. Immerhin stehen Kahnfahrer normalerweise in aller Frühe auf und lichten noch vor Morgengrauen die Anker (manche glauben, auf diese Weise die Hafengebühren sparen zu können). Sie warten nicht etwa ab, bis alle blinden Passagiere ihre Reiseziele genannt haben.
Wir wissen das. Aber Esk hatte keine Ahnung.
Eskarina erwachte, als sie ein seltsames Pfeifen vernahm. Sie blieb ganz still liegen und ließ die Ereignisse des
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