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Das Erbe des Zauberers

Das Erbe des Zauberers

Titel: Das Erbe des Zauberers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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vergangenen Abends noch einmal vor dem inneren Auge Revue passieren, bis ihr einfiel, wo sie sich befand. Dann rollte sie sich auf die andere Seite und hob vorsichtig die Plane.
    Mit der Umgebung schien irgend etwas nicht in Ordnung zu sein. Sie bewegte sich.
    »Ich glaube, so etwas nennt man Segeln«, murmelte Eskarina und beobachtete, wie das ferne Ufer vorbeiglitt. »Ich hätte es mir aufregender vorgestellt.«
    Sie vergaß völlig, sich Sorgen zu machen. Während der ersten acht Jahre ihres Lebens war die Welt recht langweilig gewesen, und jetzt, da sie sich allmählich interessanter gestaltete, wollte sie nicht undankbar sein.
    Als das Pfeifen verklang, hörte sie einen bellenden Hund. Esk sank wieder auf die Wolle zurück, streckte die geistigen Hände aus, fand das Tier und borgte sich seine Gedankensphäre. Das fremde Bewußtsein begegnete ihr mit sehnsüchtigen Träumen von Knochen und weggeworfenen Stöcken; aber Eskarina achtete nicht weiter darauf, sah aus den Hundeaugen und brachte in Erfahrung, daß die Besatzung des Kahns aus mindestens vier Personen bestand. Auf den anderen Schiffen, die in unmittelbarer Nähe schwammen und eine Art Konvoi bildeten, fand sie weitere Menschen, auch Kinder.
    Nach einer Weile trennte sie sich von dem Tier, spähte wieder unter der Plane hervor und genoß die Aussicht. Am Ufer ragten hohe orangefarbene Klippen empor, in der sich viele bunte Streifen zeigten: Sie sahen aus wie das Riesensandwich eines hungrigen Gottes. Während Eskarina die Felswände beobachtete, versuchte sie, einen ganz bestimmten Gedanken aus sich zu verdrängen, doch das unangenehme Gefühl in ihrem Unterleib verstärkte sich rasch, hob einen mentalen Zeigefinger und deutete immer nachdrücklicher auf ein imaginäres WC. Früher oder später mußte sie ihr Versteck verlassen, um ihre Blase zu entleeren.
    Wenn sie noch ein wenig wartete, bis …
    Mit einem plötzlichen Ruck wurde die Plane beiseite gerissen, und ein großes bärtiges Gesicht blickte auf Esk herab.
    »Welche Überraschung!«, sagte der Mann. »Wen haben wir denn hier? Eine kleine Ausreißerin, oderwas?«
    Esk setzte ihre Geheimwaffe ein: den durchdringenden Blick. Der Fremde schien nicht zu reagieren. »Könntest du mir bitte beim Aufstehen helfen?«
    »Hast du denn gar keine Angst, daß ich dich den … den Hechten zum Fraß vorwerfe?«, fragte der Bärtige. Als er die Verwirrung in Esks Zügen sah, fügte er hinzu: »Große Süßwasserfische. Sind ziemlich flink und haben scharfe Zähne.«
    Eine derartige Vorstellung war ihr völlig fremd. »Nein«, sagte sie offen, »ich fürchte mich nicht. Sollte ich? Würdest du mir damit drohen?«
    »Nun, drohen schon. Aber mehr auch nicht. Sei unbesorgt!«
    »Ich bin keineswegs beunruhigt.«
    »Oh!«
    Ein brauner Arm, der auf die übliche Weise am Kopf befestigt war (besser gesagt: am Hals darunter, beziehungsweise an der Schulter), streckte sich ihr entgegen und zog sie hoch.
    Einige Sekunden später stand Esk auf dem Deck des Kahns und sah sich um. Der Himmel erstrahlte in einem prächtigen Amethystblau und wölbte sich über einem breiten Tal. Der Fluß strömte noch immer an hohen Felshängen entlang und hatte es dabei ungefähr so eilig wie eine parlamentarische Untersuchungskommission, die gemütlich durch ein Labyrinth von Bestechungsskandalen schlendert und mit bemerkenswerter Hartnäckigkeit immer wieder an den Ausgangspunkt zurückkehrt.
    Hinter ihr dienten die Spitzhornberge noch immer als granitenes Geländer für die Wolken, aber sie wirkten jetzt nicht mehr annähernd so gewaltig, wie sie Esk in Erinnerung hatte. Die zunehmende Entfernung schien zu einer vorzeitigen Erosion zu führen.
    »Was ist das?«, fragte Eskarina und roch den ungewohnten Duft von Sümpfen und Riedgras.
    »Der Oberlauf des Ankh-Stroms«, sagte der Bärtige. »Was hältst du davon?«
    Esk beobachtete den Fluß in beiden Richtungen. In diesem Bereich war er wesentlich breiter als bei Ohulan.
    »Ich weiß nicht. Ziemlich viel Wasser. Ist dies dein Schiff?«
    »Boot«, berichtigte der Mann. Er war größer als ihr Vater, wenn auch nicht ganz so alt, und er trug die Kleidung eines Zigeuners. Die meisten seiner Zähne bestanden aus Gold, aber Esk beschloß vorsichtshalber, die Frage nach dem Grund für die seltsame Metamorphose auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Seine Haut zeichnete sich durch jene Art von Bräune aus, die reiche Leute durch kostspielige Ferien und Aluminiumfolie zu erringen hofften –

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