Das Erbe des Zitronenkraemers
könnte. Direkt hinter ihnen standen ein Wachsoldat und ein Offizier. Er musterte die Soldaten mit grimmigem Blick.
Ich spürte mein Herz bis zum Hals schlagen. Wenn der Offizier mich entdeckt hatte, wenn ich mitsamt den anderen wegen dieses Diebstahls zur Rechenschaft gezogen würde, dann musste herauskommen, dass ich nicht zur Einheit gehörte. Ich hatte keinen Namen, keine Papiere. Sie würden mich hängen.
Ich hörte die Schimpftiraden und Anschuldigungen des brüllenden Offiziers.
Ich hörte, wie die betrunkenen Dragoner lallten und beschwichtigend murmelten.
Atemlos stierte ich auf das Weinfass direkt vor mir. Und traute meinen Augen kaum: Dort war ein schwarzer Strich. Ein kleiner Streifen Pech. Eindeutig.
Mein Vermögen, mein Schatz lag direkt vor meiner Nase. Ich hielt die Luft an.
Die Stimmen entfernten sich. Sie wurden immer leiser, und bald hörte ich nichts mehr außer dem Rufe eines Kauzes im tiefen Wald.
Mein Herzschlag beruhigte sich langsam. Noch eine Weile behielt ich meine kauernde Stellung bei, blieb, wo ich war.
Dies war kein echtes Weinfass, es sah nur so aus. So leise wie möglich, machte ich mich daher mit meinen Händen daran, den Deckel abzuschrauben. In meinen Ohren knirschte es fürchterlich. Aber niemand sonst schien etwas zu bemerken, denn niemand näherte sich dem Wagen.
Endlich löste sich der Deckel aus dem Gewinde und gab den Weg frei. Zaghaft tastete ich hinein. Ich fühlte weichen Stoff. Ein jedes einzelne der kostbaren Stücke war damit umwickelt. Ich zog hastig die lange Mütze von meinem Kopf. Sie würde einen hervorragenden Beutel abgeben.
Dies war bereits das zweite Mal, dass ich diesen Schmuck gefunden hatte. Er war mein. Für mich allein bestimmt. Mein Entschluss war rechtens gewesen.
Ich packte Stück um Stück in die Mütze und band diese sorgfältig zu.
Dann sah ich mich um. Im Lager war alles ruhig. Die Soldaten schliefen einen seligen Weinschlaf. Ich wartete, bis die Wache außer Sicht war, dann warf ich den Beutel so weit ich konnte über die Lagergrenze hinweg in den dunklen Wald.
Jetzt musste es mir nur noch selbst gelingen, hier herauszukommen.
Ich sprang vom Wagen und rannte, so schnell mein verletztes Bein es zuließ. Ich verschnaufte erst, als ich mich hinter dichten Bäumen in Sicherheit wähnte.
Ängstlich blickte ich zurück. Niemand war mir gefolgt, meine Flucht war unbemerkt geblieben. Erschöpft ließ ich mich mit dem Rücken am Stamm einer dicken Eiche zu Boden sinken und schlief ein.
Mit schmerzendem Rücken und steifen Gliedern erwachte ich am nächsten Morgen in aller Frühe. Meine Hose und mein Rock waren feucht und klamm vor Tau.
Erst jetzt wurde mir bewusst, welche Art Kleidung ich am Leib hatte. Ich trug die Uniform eines französischen Dragoners. Wenn man mich hier mitten im Wald entdeckte, würde ich als Deserteur behandelt werden.
Ich hielt die Luft an, vorsichtig trat ich hinter meinem Baum hervor und schaute hinüber zum Lager. Aber ich war zu weit entfernt, nichts konnte ich erkennen. Ich beschloss, noch eine Weile zu warten und hoffte, dass die Einheit noch heute weiterziehen würde.
Ich wusste, sie zogen gen Trier. Die Soldaten hatten am Tag zuvor davon gesprochen.
Ambrosius hatte recht gehabt. Frankreichs Kriegsminister Louvois wollte die Stadt dem Erdboden gleichmachen.
Dies war nur noch nicht geschehen, da ihm der Ruf des unbarmherzigern Zerstörers von Land und Menschen anhaftete; das hatte ihn beim König in Ungnade fallen lassen.
Er lag mit Ludwig XIV. im Streit, und die Soldaten lachten darüber. Sie folgten dem Befehl ihres Kommandeurs. Von überall wurden Truppen um Trier zusammengezogen. Die Soldaten wollten plündern, wollten Kriegsbeute; sie wollten töten und es verlangte sie nach Frauen. Allein aus diesem Grunde waren sie bei der Armee. Dies war ihr Handwerk.
Und nun zogen sie gen Trier und hofften auf den Befehl zum Sturm und gute Beute.
Man munkelte, Louvois plane eine List, um sein Vorhaben gegen den König durchzusetzen. Ambrosius hatte gut daran getan, den Schmuck aus der Stadt herauszuschaffen.
Ich aber schob den Gedanken beiseite, da ich nicht an Ambrosius erinnert werden wollte. Ich wollte nicht länger unter einem schlechten Gewissen leiden.
Also schlich ich mich ans Lager. Achtsam und leise.
Irgendwann hörte ich sie. Ich pirschte mich noch näher heran und beobachtete, wie sie zum Aufbruch rüsteten, wie sie alles zusammenpackten, wie sie die einen Pferde sattelten und die anderen
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