Das Erbe des Zitronenkraemers
nicht zu trauen, das wusste Schönemann. Das Böse lag ihm im Blut, auch wenn er noch so reuevoll und unterwürfig tat. Seinen Schmuck hatte er ihm jedenfalls nicht angeboten, so wie es sich gehört hätte. So wie es rechtens gewesen wäre. Er wollte diesen Schatz nicht aus den gierigen Fingern lassen. Dieser Mensch würde ihm nicht helfen, auch wenn er ständig das Gegenteil behauptete. Trotzdem musste Schönemann freundlich zu ihm sein. Wenn dieser hier versagen sollte, könnte er den anderen vielleicht doch noch brauchen. Er ließ sich sehr leicht manipulieren.
Aber er hatte böses Blut. So etwas vererbt sich, da war Schönemann sich ganz sicher. Aber er hier, der Verrückte, der jetzt neben ihm herschlenderte, der war ehrlich. Der ist selbstlos. Der hat Beziehungen. Er wird es schon schaffen. Er hatte Verständnis, ja sogar Mitleid mit ihm.
Schönemann vertraute ihm. Am Anfang war er ihm unheimlich erschienen, vollkommen verrückt. Immer nervös, immer schwitzend, immer zittrig. Schönemann hatte ihn wie einen Diener behandelt, von oben herab und hart. Wie ein Despot. Aber der Mann war stets wiedergekommen. Er nannte sich Hans. Und er hasste Hannes Harenberg. Warum, das war Schönemann egal. Auch er hasste Hannes Harenberg. Dieser Mensch hatte ihm alles kaputt gemacht. Er hatte den Erfolg seines schönen Planes vereitelt. Schönemann hatte Beweise für die Treue und Ergebenheit seines Besuchers gefordert. Und der Mann hatte alles getan, sie zu erbringen. Auch wenn er bislang gescheitert war. Aber es war ja auch nicht einfach für ihn.
Er war ein Spielball und Schönemann spielte gern.
Trotz allem: Das Buch war verloren.
Aber vielleicht auch nicht!, hoffte Schönemann. Es gab einen Menschen, der wusste, wo es steckte. Wo es im Staub lag und langsam verrottete.
Aber ihn konnte er unmöglich dort hinschicken; an diesen Ort des Grauens. Das würde vielleicht alles kaputt machen, würde ihn daran erinnern, wer Schönemann wirklich war: ein Verbrecher, ein Mörder, ein Geiselnehmer. Wenn auch aus gutem Grund und daher ohne Sünde. Der Besucher schien dies völlig verdrängt zu haben. Aber er würde die Matratze sehen, von Motten und Ratten zerfressen, vielleicht sogar den Aborteimer noch riechen. Er würde mit der Dunkelheit konfrontiert werden und vielleicht die Angst und die Einsamkeit darin spüren. Vielleicht würde er dann sein falsches krankhaftes Verständnis erkennen und Schönemann nicht mehr besuchen wollen. Und dann den Schmuck nicht mehr jagen.
Nein, das kann ich ihm nicht zumuten, nicht riskieren.
Aber vielleicht ihr!
Chronik der Familie Steinmetz, II
1687, Lager der Franzosen
Ich achtete darauf, nüchtern zu bleiben. Dort, im Lager der Franzosen. Absichtlich schüttete ich den Wein fast zur Gänze am Mund vorbei, während meine neuen Kameraden mit jedem Becher lauter grölten und torkelten.
Immer wieder sah ich mich um. An den anderen Lagerfeuern ging es ähnlich zu. Nur die Wachsoldaten drehten weiter aufrecht und sicher ihre Runden. Sie würden die ganze Nacht wachsam sein.
Langsam stand ich auf und wankte zum Weinfass. Ich lehnte mich dagegen, um scheinbar meinen Becher aufs Neue zu füllen. Wie zufällig stieß ich dabei gegen das Fass und warf es um. Als die anderen sahen, wie der Wein in den trockenen Boden sickerte, grölten und brüllten sie noch lauter. Dies sollte ihre einzige Ration für den Tag sein.
Einige von ihnen wollten mir an den Kragen, doch letztlich hatte ich erreicht, was ich bezweckte. Schon bald machte ich mich mit vier anderen auf den Weg, ein neues Fass zu ergaunern. Der Wein hatte die Männer tollkühn gemacht, und es verlangte ihnen nach mehr.
Gemeinsam kletterten sie auf meinen Wagen und banden die darauf gestapelten und nun wieder fest vertäuten Fässer los. Ich suchte jedes einzelne mit den Augen ab. Ich hatte vor der Abreise jenes besondere Fass mit einem Streifen Pech markiert. Ohne, dass Ambrosius dies geahnt hätte.
Die anderen begannen nunmehr, das erstbeste Fass abzuladen. Ich war der Verzweiflung nahe, denn ich suchte noch immer, konnte aber auf keinem der Fässer meine Markierung erkennen. Schließlich hatten die anderen es geschafft. Jubelnd kamen sie mit ihrer Beute vor dem Wagen zum Stehen. Sie winkten mir zu, aber ich erstarrte. Dann, so schnell ich konnte, duckte ich mich zwischen die Fässer. Meine Kameraden wurden auf einen Schlag ganz ruhig, sie wandten sich zögerlich und angstvoll um, um herauszufinden, was mich so erschreckt haben
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