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Das Erbe des Zitronenkraemers

Das Erbe des Zitronenkraemers

Titel: Das Erbe des Zitronenkraemers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Kirchen
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Geborgenheit … wie es früher einmal war.“
    „Sie meinen, wie früher in Ihrer Kindheit“?
    „Nein, nein … nicht wie bei mir … wie früher eben. Aufrichtige Liebe. Ohne Betrug und Verrat.“
    „Ihre Mutter ist früh gestorben, Ihr Vater hat Sie abgelehnt. Sie haben nie ein Gefühl von Familie entwickeln können. Sie müssen lernen. Dabei helfe ich Ihnen. Ich möchte, dass Sie sich mit einer Aufgabe beschäftigen. Schreiben Sie auf, welche Situationen Gefühle wie Glück, Sicherheit und Geborgenheit in Ihnen auslösen. Wollen Sie das bis zur nächsten Sitzung versuchen?“
    Der Mann sah auf die Uhr. Die Zeit war abgelaufen. Er erhob sich. „Wissen Sie, ich muss Giulia von der Arbeit abholen.“ Er zog seine Jacke an.
    „Schön, schön“, entgegnete der Therapeut und reichte ihm die Hand, „nächste Woche um die gleiche Zeit?“
    Der Mann überlegte. Am liebsten hätte er alles hingeschmissen. Aber er war noch nicht so weit. Erst musste alles gut werden. „Aber natürlich.“ Mit einem Lächeln verließ er die Praxis.
    Die letzten Meter musste er laufen, damit der Stadtbus ihm nicht noch vor der Nase davonfuhr. Er nahm immer den Bus zum Petrisberg. So unauffällig wie möglich. Er wollte nicht, dass jemand ihn erkannte, ihn mit dieser Praxis für psychisch Gestörte in Verbindung brachte. Er betrachtete sich nicht als gestört, er war freiwillig hier, es tat ihm gut. Er hatte sonst niemanden. Bisher jedenfalls. Er war nicht so wie dieser verrückte Schönemann.
    Es war ihm unangenehm zusammen mit den vielen Studenten im Bus zu sitzen, die um diese Zeit in Scharen von der Uni zurück in die Innenstadt fuhren. Aber es hatte auch seine Vorteile. Versteckt in einer Traube aus Menschen stieg er schließlich in der Paulinstaße aus. So konnte er sicher sein, dass Giulia ihn von ihrem Bürofenster aus nicht sehen konnte. Die Glocken von St. Paulin schlugen sechs. Bald würde sie herauskommen. Er wanderte auf dem Zufahrtsweg zur Kirche auf und ab. Ein Mann mit einem Fotoapparat fiel in dieser Touristenstadt nicht auf. Unauffällig beobachte er den Eingang zur Agentur auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
    Dann war es soweit. Sein Herz setzte für einen kurzen Moment aus, als sie herauskam. Er war enttäuscht; sie trug eine lange Hose, ausgerechnet Jeansstoff. Das missfiel ihm sehr. Er liebte die Kleider, die sie immer im Sommer getragen hatte. Leicht und beschwingt. Ich werde ihr verbieten, lange Hosen zu tragen. Das ist nicht schicklich. Sie lachte mit einer Kollegin. Sie sah in den Himmel und zog ihren beigen Mantel zu. Auch er blickte hoch in den grauen Oktoberhimmel und stellte daraufhin die Belichtung seiner Kamera ein. Nun schoss er Fotos in rascher Folge. Sie hatte ihr Haar wachsen lassen. Das mochte er. Aber sie sollte in der Öffentlichkeit einen Zopf tragen. Nur er sollte sie so sehen dürfen.
    Giulia schien an diesem Tag zu Fuß nach Hause gehen zu wollen. Umso besser. So konnte er sie länger betrachten. Er machte Fotos von ihr beim Durchschreiten der Porta Nigra, erwischte sie sogar einmal dabei von vorn. Er hatte ihren Blick in seiner Kamera eingefangen. Schaut sie misstrauisch zu mir herüber? Schnell wandte er sich ab. Aber dann ging sie weiter. Ein paar Mal noch hatte er den Eindruck, dass sie sich unauffällig umsah. Er hielt sich im Hintergrund. Versteckt durch die vielen Menschen, die die Fußgängerzone Richtung Hauptmarkt bevölkerten.
    Giulias Schritte wurden immer schneller. Hastig erkämpfte sie sich einen Weg durch die Menschenmassen. Es bereitete ihm Mühe, ihr zu folgen. Aber das war nicht schlimm. Er wusste ja, wo sie wohnte. Er würde noch eine Weile ihr Haus betrachten. Auch er beschleunigte nun seinen Schritt. So konnte er noch beobachten, wie sie im Eingang des Hauses Venedig verschwand. Ein Stöhnen entfuhr seiner Kehle. Er ballte die Hände zu Fäusten und ließ sie auf die Motorhaube des Wagens herunterschnellen. Er musste sich beruhigen, atmete tief ein und aus. Lange würde er das nicht mehr erdulden. Er hasste dieses Auto, geparkt im Halteverbot direkt vor dem Hauseingang. Das konnte nur eines bedeuten: Er war hier, um sie abzuholen. Bald würden sie zusammen wieder herauskommen. Diesen Anblick konnte er nicht ertragen. Er musste diesen Harenberg loswerden. So schnell wie möglich. Voller Wut drehte er sich um und marschierte zum Taxistand. Während der Fahrt nach Hause konnte er darüber nachdenken, wie er es diesmal besser machen könnte.
     

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