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Das Erbe des Zitronenkraemers

Das Erbe des Zitronenkraemers

Titel: Das Erbe des Zitronenkraemers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Kirchen
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anspannten, wie sie sich aufstellten und wie sie letztlich abzogen. Pferd um Pferd, Mann um Mann, Wagen um Wagen. Darunter auch mein Pferd und mein Wagen.
    Irgendjemand musste wohl mittlerweile meine Reisekleidung in seinem Zelt vorgefunden haben. Wenigstens hatte ich daran gedacht, meine Börse wieder umzubinden.
    Ich wartete, bis die ganze Einheit außer Sicht war.
    Erst dann machte ich mich auf die Suche nach meinem Schmuck.
    Ich fand ihn am Ast einer Tanne baumeln. Mit einem langen Stock gelang es mir, den Beutel herunterzuschütteln.
    Bald war ich wieder auf dem Weg. Ich hatte den Beutel geschultert und wollte zur Mosel hinunter. Irgendwo musste ich an andere Kleidung kommen. Wenn mich jemand, von welcher Seite auch immer, so zu fassen bekäme, wäre ich des Todes. Entweder würde ich als französischer Feind erschlagen, oder als Deserteur erschossen werden.
    Ich sondierte meine Lage; dieser Teil des Weges war mir wohlbekannt; mir war diese alte, tote, mächtige Eiche ohne ein einziges Blatt vertraut, und ich erkannte auch die nächste Biegung wieder. Folglich war ich nicht weit entfernt. Nicht weit entfernt von jenem Ort, an dem Ambrosius sein Leben verloren hatte, auf so gewaltsame, schreckliche Weise. Mir war nicht bewusst gewesen, so weit zurückgewandert zu sein. Zwei Herzen schlugen nun in meiner Brust. Das eine wollte rasch fort von hier. Nur fort, egal wohin.
    Das andere Herz zog es zurück, wollte sehen, ob Ambrosius noch immer da lag, dalag in seinem Blut. Tot und kalt. Er hatte es nicht verdient, so dazuliegen. Von Tieren angefressen, von Raben die Augen herausgerissen. Augen, kalt und leer.
    Er hatte ein Begräbnis verdient. So marschierte ich also zurück. Zurück zum Ort des Grauens. Die Franzosen hatten ihn bei ihrem Vorbeimarsch bestimmt einfach achtlos liegen lassen. Soldaten waren verstümmelte Leichen gewohnt, und der Anblick würde sie kalt lassen.
    Aber mich nicht. Ich überlegte, ob ich versuchen sollte, Ambrosius zu schultern und ihn zurück nach Trier und zu Giulia zu tragen. Aber die französische Armee würde vor der Stadt lagern. Und Giulia? Würde sie mir glauben? Ich haderte. Nein, sagte mein Herz. Ich könnte behaupten, der Schmuck sei gestohlen worden. Nein, sagte mein Herz. Ich würde ihn hier begraben. Ich würde ein Gebet sprechen. In diesen Zeiten war das sicher erlaubt. Und Ambrosius würde in den Himmel fahren können, auch ohne priesterlichen Segen.
    Ich kam immer näher. Mir war unglaublich bang, Ambrosius‘ Leiche wiederzusehen. Die Angst kroch langsam an meinem Rückgrat empor, um letztlich mein Herz mit eiskalter Faust zu umklammern.
    Und ich hatte Angst, bei der Leiche erwischt zu werden. Nein, ich konnte ihn unmöglich heimbringen. Sie würden mich als Mörder verurteilen lassen. Giulia und Gustavo Boltera hatten mich immer schon nur als Schmarotzer betrachtet, als Ambrosius‘ Günstling.
    Ambrosius‘ Sohn Thomas hasste mich geradezu, vor lauter Eifersucht auf seine väterliche Liebe zu mir.
    Ich hörte leise Stimmen. Schnell verbarg ich mich hinter Bäumen, um dann langsam näher heranzuschleichen. Lautlos, wie ich hoffte.
    Ich erblickte zwei Männer und einen Wagen. Ich sah ein Tuch über einem Körper drapiert.
    Seufzend schloss ich die Augen und sprach rasch ein Dankgebet. Ambrosius würde ein christliches Begräbnis bekommen. Ich schlich noch näher heran. Ich wollte in Erfahrung bringen, wer diese Männer waren, was sie sprachen. Ich glaubte, meine Augen würden mir einen bösen Streich spielen. Mein Herz wollte stehen bleiben. Das konnte nie und nimmer sein. Was zum Teufel hatte er hier zu schaffen? Gustavo Boltera. Leibhaftig. Und auch den anderen, den schmutzigen, in Lumpen gehüllten Kerl hatte ich schon mal gesehen. Nur wo? Ein Bettler von der Straße? Was hatte ich mit Gesindel zu schaffen, was hatte Boltera damit zu schaffen?
    Aber er war es, meine Augen spielten mir keinen   Streich. Gustavo Boltera, leibhaftig in persona. Seine dunkle, herrische Stimme war unverkennbar. Ambrosius‘ bester Freund. Ich versteckte mich hinter dichtem Gebüsch. Ich musste hören, was die Männer besprachen. Oh, wie recht ich doch hatte! Mehrfach hörte ich meinen Namen ausgesprochen: „Jacob“. Sie suchten mich schon. Ich hörte, wie sie überlegten, wohin ich wohl geflüchtet sein könnte. Sie vermuteten mich bei Koblenz.
    Aber Gustavo wollte Ambrosius‘ Leichnam unbedingt erst zurück nach Trier bringen. Die Franzosen lagerten zwar vor der Stadt, aber bislang,

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