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Das Erbe des Zitronenkraemers

Das Erbe des Zitronenkraemers

Titel: Das Erbe des Zitronenkraemers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Kirchen
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bislang taten sie nichts. Anscheinend warteten sie noch auf ihre Befehle. Boltera hoffte, mit dem Leichnam noch unbehelligt in die Stadt zu kommen. Dann würden sie sich Pferde besorgen und nach mir suchen. Mit ihren Pferden seien sie gewiss schneller, als ich es mit meinem Wagen je sein könnte.
    Ich verharrte noch immer im Unterholz. Dank Gottes Fügung wusste ich nun wenigstens, wo ich keinesfalls hindurfte. Der Schmuck wog schwer im Beutel auf meinen Schultern. Ich musste das Gewicht unbedingt von meinem wehen Bein nehmen, bevor es in Krämpfen erstarren würde. Ich erahnte das Geräusch, noch bevor ich es wahrhaftig vernahm.
    Ich hatte mit dem Fuß einen Zweig zerbrochen. Laut und knackend tönte das Geräusch in meinen Ohren. Ich hielt den Atem an und lauschte angestrengt. Aber ich vernahm keine Stimmen mehr. Gustavo und sein Komplize waren verstummt. Dann hörte ich leise Schritte, direkt auf das Gebüsch zukommend, in dem ich mich verborgen hielt. Ich kniff die Augen zu, wollte meinem Herz verbieten, auch nur noch einen weiteren Schlag zu tun, so laut pochte es. Aber mein Herz gehorchte mir nicht. Stumm murmelte ich ein Gebet und wartete darauf, am Kragen gepackt und hinaufgezerrt zu werden. Doch nichts dergleichen geschah. Langsam öffnete ich wieder die Augen. Angestrengt horchte ich. Absolute Stille. Doch nein. Ich hörte den Mann atmen. Ich konnte seinen üblen Atem förmlich riechen. Direkt über mir. Oder war es eine Halluzination? Mein Magen krampfte sich zusammen. Oh Gott! Plötzlich schrie ein Vogel laut auf. Keinen Schritt von mir entfernt. Empört schwang er sich kreischend in die Lüfte und flog davon. Die Schritte entfernten sich von meinem Versteck. Erst, als ich die Männer wieder lamentieren hörte, wagte ich, einen Atemzug zu tun. Ich wartete endlos, wie mir schien, bis beide das Kutschpferd wendeten und endlich abfuhren.
    Ich ließ noch Zeit verstreichen; erst nach einer Weile machte ich mich auf den Weg zur Mosel hinunter. Mein Ansinnen war, auf die andere Seite des Flusses zu gelangen. Dort würden sie mich wahrscheinlich zuletzt suchen.
    Ich bemerkte nicht, dass wohl einer der Männer auf dem Wagen sich nochmals umsah und einen humpelnden Schatten ausmachte, bevor dieser zwischen den Bäumen verschwand.
    Denn nur so konnte es geschehen sein. Wie sonst hatten sie mich derart rasch auffinden können? Sofort musste Gustavo das Pferd gezügelt und seinen Begleiter dem „Schatten“ hinterhergeschickt haben. Mir hinterher.
    Boltera würde Ambrosius‘ Leichnam zurück zu seiner Witwe bringen. Am nächsten Morgen, so hoffte er vermutlich, würde er diesen elenden Jacob samt Schmuck gefangen genommen haben, um ihn dann in Gewahrsam nehmen zu können. Doch von all dem ahnte ich damals nichts. Ich wähnte mich in Sicherheit ...
     

Kapitel 9
     
    Anne verlor jegliches Vertrauen in ihre ansonsten gut funktionierende Hörfähigkeit. Sie hatte schon von akustischen Halluzinationen gelesen, bislang aber noch nie das Gefühl haben müssen, selbst darunter zu leiden. Verkrampft hielt sie den Hörer an ihr Ohr. Kein Wort brachte sie über die Lippen. Einfach auflegen, dachte Anne und hörte sich im selben Moment doch „wie bitte?“ stammeln.
    „Schönemann“, sprach die Wahnvorstellung untrüglich am anderen Ende der Leitung.
    „Sie werden überrascht sein von meinem Anruf, Frau Seifert, aber Sie sind die Einzige, an die ich mich in dieser Sache wenden möchte.“
    Keine Halluzination. Annes Hand zitterte, und der Hörer tippte ihr unangenehm gegen das Ohr.
    Schönemann besaß tatsächlich die Unverfrorenheit, sie anzurufen. Sie sprach mit dem Mörder. Bilder aus dem Stollen gluckerten wieder an die Oberfläche: Schönemann mit der Waffe, Schönemann, der Folterknecht von Andreas, Schönemann, der eiskalte und brutale Mörder. Wie er auf der Trage lag, umsorgt von Rettungskräften, nachdem Hannes ihn überwältigt hatte. Schönemann, der abtransportiert wird. Hoffentlich für immer aus meinem Leben, hatte Anne damals gebetet.
    Jetzt telefonierte sie mit ihm.
    Er hatte ein Anliegen. Für Anne unfassbar. „Was wollen sie?“ Endlich hatte sie wieder die Oberherrschaft über ihre Stimmbänder gewonnen. „Mein Tagebuch“, kam es lapidar aus dem Hörer.
    Wie kann er wissen, dass ich das Buch habe? Anne glaubte, das Pochen ihres Blutdrucks müsse das Telefon in ungeahnte Schwingungen versetzen.
    „Es müsste noch in der Höhle liegen …“              
    Er weiß es nicht. Er weiß

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