Das Erbe des Zitronenkraemers
wollte er am Zitronenkrämerkreuz ablegen. Für jenen Ambrosius Carove. An den Ort seines Todes, an die Stelle, an der Jacob Steinmetz ihn erschlagen hatte.
Vielleicht würde er ebenfalls eine Rose dorthin legen, wo sein Bruder Bernd den Tod gefunden hatte, nur ein paar Meter von dem Denkmal entfernt.
Wo er danach hinwollte, wusste er noch nicht. Einfach mal ein paar Tage allein sein mit sich und der Welt.
Kapitel 19
Fassungslos las Hannes den Zettel. Von Ambrosius für Giulia. Ohne es zu merken, spielte er mit der Kette in seiner linken Hand.
Anne erzählte ihm, dass sie Andreas vor ihrer Haustür gesehen hatte.
„Andreas Steinmetz?“, wollte Hannes ungläubig wissen. „Was soll der denn in Trier?“
„Aber ich bin mir ganz sicher!“, stellte Anne klar. „Ich habe ihn genau gesehen. Ich habe ihm noch hinterhergerufen, aber er hat sich einfach aus dem Staub gemacht, ist die Karl-Marx-Straße runtergegangen.“ Anne konnte an Hannes‘ Gesicht ablesen, dass er ihr nicht glaubte. War ja auch wirklich seltsam, musste Anne selbst zugeben. Was könnte Andreas Steinmetz vor meiner Tür zu schaffen gehabt haben? Wahrscheinlich habe ich ihn einfach verwechselt. „Dann hätte er auch auf Krischels Beerdigung sein müssen“, meinte Hannes stirnrunzelnd. „Wieso?“ Anne verstand nicht. Wortlos drehte Hannes sich um und ließ eine irritierte und hilflose Anne in seinem Wohnzimmer zurück. Mechanisch ging er die Treppe hoch, öffnete seinen Waffenschrank, nahm eine Kopie seines „Zettels“ heraus, verschloss den Schrank sorgfältig und stieg die Stufen hinunter.
Er reichte Anne das Stück Papier. „Dazu gab es noch ein nettes kleines Holzkreuz mit meinem Namen darauf“, erklärte er ihr. Anne zitterte wie Espenlaub, als sie die Worte las. Hannes nahm sie behutsam in die Arme. Beide klammerten sich aneinander wie zwei Ertrinkende. Die Zettel wiesen die gleiche Handschrift auf: eckig und schräg. Die kleinen Buchstaben in ihrer Schrägheit wirkten auf Anne wie spitze kleine Pfeile. Hinterhältig und böse. „Du wirst nicht in deiner Wohnung bleiben, allein“, bestimmte Hannes, „ein völlig Verrückter ist hinter uns her.“ „Nein“, flüsterte Anne kaum hörbar, „ich bleibe jetzt hier. Bei dir.“
Paula winselte.
Plötzlich löste Hannes sich aus der Umarmung, als hätte er sich verbrannt. Er spurtete zum Telefon und wählte hektisch eine Nummer.
Anne wartete und lauschte ungläubig. Also habe ich doch Recht behalten! Als Hannes aufgelegt hatte, war klar, dass ein paar hundert Kilometer entfernt eine verzweifelte Claire saß, die seit zwei Tagen nicht wusste, wo Andreas sich herumtrieb. Sein Handy war seitdem ausgeschaltet. Hannes und Anne beschlossen kurzerhand, noch heute Abend nach Düsseldorf zu fahren.
Kapitel 20
„Schönen guten Tag, Herr Dr. Mezza.“ Michael setzte sich ungefragt in den tiefen Ledersessel. „Danke, dass Sie Zeit für mich haben.
„Ja, ja, ein wenig“, grummelte der Notar und wühlte zum Zeichen seiner starken beruflichen Überbeanspruchung in einem Aktenstapel, der an die Höhe des Turmes zu Babel erinnerte. „Da es um die liebe Frau Seifert geht …“
Schon dreimal hatte sich dieser ewige Student nun bereits um eine Audienz bemüht.
Michael schob ihm ein altes in Leder gebundenes Buch vor die Nase. Dr. Mezza stockte. Was soll ich mit dem Krempel?, fragte er sich. Was sollte Anne Seifert mit diesem antiquarischen Buch zu schaffen haben? Er räusperte sich umständlich und unüberhörbar genervt. „Nun, mein junger Freund, meine Zeit ist begrenzt und kostbar, Termine warten, Termine, für die ich bezahlt werde, wissen Sie.“
„Ambrosius Carove“, stellte Michael nüchtern fest und verwies auf das alte Buch.
„Sein Tagebuch?“, wollte Dr. Mezza wissen. Behutsam und mit deutlich mehr Interesse nahm er das Buch in die Hände und blätterte vorsichtig ein paar Seiten durch. „Woher haben Sie das?“
Michael grinste, ein Blick in Dr. Mezzas glänzende Augen sagten ihm mehr als tausend Worte; er hatte gewonnen, der Doktor würde ihm helfen. „Von einer Freundin“, erwiderte er. „Von einer Freundin von Anne Seifert. Es soll ein Geschenk für sie werden. Eine Weihnachtsüberraschung. Übersetzt und als Buch gedruckt, wenn Sie verstehen. Ich …“ Michael wirkte verlegen. „Ich studiere Altphilologie, aber ich muss zugeben, ich habe Probleme mit der Übersetzung. Und ich weiß von Anne, dass Sie schon einmal etwas für sie übersetzt haben.
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