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Das Erbe

Das Erbe

Titel: Das Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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Denn ich hatte das Ganze schon einmal erlebt.

Flashback
    An diesem Morgen kam ich früher in die Schule, weil ich den Auftrag hatte, das Experiment für den Chemieunterricht aufzubauen. Chemie war neben Bio mein Lieblingsfach. Ich begegnete kaum jemandem, außer Mrs Bernard, der Englischlehrerin, die am Kopierer stand und offensichtlich die Aufgaben für die heutige Klausur in der fünften Stunde kopierte. So wie es aussah, würde es noch eine Weile dauern, denn sie kämpfte mit einem Papierstau. Als ich sie fragte, ob ich ihr helfen solle, schüttelte sie den Kopf. »Vielen Dank, David, aber du könntest daraus einen Vorteil ziehen.«
    Natürlich hatte ich in keiner Weise daran gedacht, auf diese Weise an die Prüfungsaufgaben zu kommen. Ich war damals schon der Typ mit diesem Ehrlichkeitssyndrom und dem Tick, anderen helfen zu wollen. Nur ist es damit noch schlimmer geworden. Aber auch dafür gibt es Gründe. Ich habe mir fest vorgenommen, einmal zu der Spezies von Ärzten zu gehören, die Körper und Seele nicht voneinander trennen. Obwohl ich nicht glaube, dass die Seele im Herzen oder – noch schlimmer – im Magen sitzt.
    Jedenfalls lag um diese Uhrzeit über dem Gebäude eine Stille, die völlig ungewohnt war. Leere Korridore, kein Geschrei von Schülern, kein Klappern der Spinde, keine laute Musik, kein Getrampel. Es war der 11. März 2009. Und das hieß Regen. Viel Regen. Ich war mit dem Fahrrad zur Schule gefahren, wie immer. Die Bäume hatten sich gerade mit dem ersten Grün überzogen und die Zufahrt auf den Highway 54 war wegen Überschwemmung gesperrt.
    Ich ging durch die leeren Korridore hinunter in den Keller, wo die Räume des Naturwissenschaftsbereichs untergebracht waren. Ich passierte den Chemiesaal und lief hinüber ins Lager, wo ich mir alles aus den Schränken heraussuchte, was wir für das Experiment benötigen würden. Mr Pratt hatte mir eine Liste geschrieben und den Versuchsaufbau notiert, aber ich brauchte seine Anweisungen nicht. Ich wusste auch so, worum es ging. Jacob hatte mich in den letzten Jahren oft als Nerd bezeichnet. Aber ich war kein Streber. Ich lernte einfach nur gerne und musste mich auch nicht besonders anstrengen.
    Ich baute also den Versuch im Chemiesaal auf und sah erst wieder auf die Uhr, als ich fertig war. Es waren noch gut zwanzig Minuten bis zum Unterrichtsbeginn.
    Ich beschloss, meine Sachen aus meinem Spind im Erdgeschoss zu holen, also sperrte ich die Tür ab und machte mich auf den Weg zum Treppenhaus.
    In dem Moment hörte ich einen lauten Knall. Ich spürte die Erschütterung der Explosion, weil das hölzerne Geländer der Treppe bebte. Was war das, fragte ich mich.
    Weil danach für einige Augenblicke der alltägliche Wahnsinn oben im Erdgeschoss weiterging, kümmerte ich mich zunächst nicht darum, bis ein zweiter Knall ertönte.
    Vielleicht hatte es in einem der Labore eine Explosion gegeben? Nein, das Geräusch war von oben gekommen. Trotzdem wollte ich nachsehen. Ich war schon wieder auf dem Weg nach unten, als Schüler an mir vorbeistürmten und mich beinahe umrissen. Ich musste mich am Geländer festhalten.
    Ein weiterer Knall erschütterte das Treppenhaus, diesmal deutlich lauter. Er ging mir durch Mark und Bein. Die nach unten stürmende Menge schob mich mit sich. Sie rissen unten an den verschlossenen Türen. Schrien. Traten dagegen.
    Und dann erst registrierte ich das Geschrei, aus dem sich nach und nach einzelne Sätze lösten und sich in mein Gehirn bohrten.
    »Da ist jemand mit einer Schusswaffe!«
    »Ein Amokläufer!«
    »Er schießt um sich!«
    Dass es eine vollkommene Stille geben kann im größten Chaos, das erlebte ich in diesem Moment. Vielleicht eine Art Schutzmechanismus? Nein, es war etwas anderes. Ein Gefühl, als wenn der Verstand alles Unwichtige beiseiteräumt und sich auf das konzentriert, was wichtig ist.
    Ich weiß noch, dass ich die ganze Zeit im Kopf wiederholte: Jetzt ist es so weit. Jetzt passiert etwas Schlimmes. Etwas Schreckliches.
    Mein Körper reagierte schneller als mein Verstand. Ich drängte mich durch die Menge und zog im Laufen den Schlüssel aus der Hosentasche, der zu allen Räumen hier unten passte. Meine Hände zitterten, als ich den Physiksaal aufschloss, der näher am Treppenhaus lag. Ich konnte die Menge kaum aufhalten, die auf mich losstürmte.
    »Alle hier rein«, schrie ich. »Schneller. Und auf den Boden. Runter auf den Boden.«
    Ich sah in diese Gesichter mit ihren vor Schreck geweiteten Augen und noch

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