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Das Erbe

Das Erbe

Titel: Das Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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nie hatte ich solche Angst erlebt. Einige Schülerinnen klammerten sich aneinander und bewegten sich nicht. Ich trat auf den Flur und schob sie einfach in den Raum. Dann warf ich die Tür zu und rannte wieder zurück zur Treppe. Ich musste sehen, ob ich noch jemandem helfen konnte.
    Ich war bereits einige Stufen nach oben gelaufen, als ich das Lachen hörte. Es klang nicht fröhlich, sondern hatte etwas Bedrohliches an sich. Es war ein Lachen, das Gleichgültigkeit, Häme und Grausamkeit enthielt.
    »Lemminge«, hörte ich jemanden schreien. »Ich wusste es. Ihr alle seid Lemminge. Begreift ihr das nicht? Ihr seid fremdgesteuert. Verkabelt. Verfolgt. Gleichgeschaltet.«
    Die Stimme kam mir bekannt vor und auch wieder nicht. Das musste daher kommen, dass ich noch nie jemanden so hatte schreien hören. Als würden die Laute nicht durch die Stimmbänder gepresst, sondern durch die Rippen. Sie entstanden ganz tief unten und wurden mit einer Wucht herausgeschleudert, die mich mehr in Panik versetzte als ihr Inhalt.
    Wieder ertönte ein Schuss und wieder Schreie.
    »Ich werde die ausschalten, die dafür verantwortlich sind, und euch zur Freiheit verhelfen.«
    Erst jetzt nahm ich wahr, dass es im Gebäude immer stiller wurde. Ich war der Einzige, der auf der Treppe stand, außer mir war niemand zu sehen.
    Dachte ich. Bis am oberen Ende der Treppe eine Gestalt auftauchte. Ich erkannte sie an den langen roten Haaren. Es war Ashton Tyler. Die Haare, um die sie jedes Mädchen beneidete, hingen ihr in die Augen, aber sie machte keine Anstalten, sie aus dem Gesicht zu streichen. Erst als sie den Kopf für einen winzigen Augenblick hob, nahm ich den schockierten Gesichtsausdruck wahr. Ihr Mund stand offen, als wollte sie etwas sagen oder rufen – und wahrscheinlich wollte sie das auch, aber sie hatte keine Kraft mehr. Und sie umklammerte mit beiden Händen ihren Bauch, aus dem etwas Rotes quoll. Sie machte einen oder zwei Schritte nach unten, stolperte, dann stürzte sie die Treppenstufen hinab, bis sie direkt vor mir liegen blieb.
    Mein Gehirn schickte mir nur noch eine Botschaft und ich wusste, dass es genau die falsche war: Lauf einfach davon.

5. Im Zeichen der Trommel
    Es war unerträglich heiß im Raum, jetzt noch mehr als zuvor. Eine Hitze, die durch die Kleidung drang und den Wunsch aufkommen ließ, die Fenster aufzureißen und frische Luft in den Raum zu lassen, der Rose plötzlich zu klein und eng erschien. Aber niemand rührte sich. Nur hier und da hörte man jemanden schwer atmen.
    Rose lag auf dem Boden unter einem der Tische, die Wange auf den schmutzigen Boden gepresst. Dreck, Staub und die Härte des Fußbodens verstärkten die Panik im Innern. Sie konzentrierte sich auf die Kleinigkeiten, die sich unter den Tischen befanden. Die staubigen Abdrücke von Schuhen, Papierfetzen, ein Kaugummipapier, Krümel, Staubflusen.
    Das Geräusch der Heizung, die leise summte, machte sie wahnsinnig.
    Sie sah zu Katie hinüber, die etwa zwei Meter von ihr entfernt an der Wand unterhalb des Fensters lehnte. Die Beine angewinkelt gab sie mit ihrer Haltung zu verstehen, dass sie nicht gewillt war, sich der Angst auszuliefern. Gleichzeitig wirkte sie unruhig, als sei sie auf dem Sprung. Katie würde es nicht lange aushalten, untätig herumzusitzen.
    Sie waren hier in Sicherheit, sagte Rose sich immer wieder. Solange sie sich ruhig verhielten, würde ihnen nichts geschehen.
    Wieder hörte sie das Rattern eines Hubschraubers und fragte sich, was dort draußen geschah.
    Seit dem Schuss waren etwa zehn Minuten vergangen. Eine Zeit des Wartens, die von der Angst bestimmt wurde. Und dem Gefühl, es nicht länger aushalten zu können. War David in Sicherheit? Noch eine Sorge, die sie quälte. Ihr Unterbewusstsein sagte ihr, dass er bereit war, jedes Risiko einzugehen. Wenn David etwas zustoßen würde … nein, sie verfolgte diesen Gedanken nicht weiter, aber das Unterbewusstsein ließ sich nun einmal nichts befehlen. Es war nicht beherrschbar.
    David würde in einer Situation wie dieser den Helden spielen. Wie immer.
    »Ihr habt Angst, was?« Toms Stimme durchschnitt die Stille.
    »Tom«, sagte Chris genervt, »das ist nicht die Zeit, hier irgendwelche Szenen zu spielen.«
    »Halt die Klappe, Chris. Du bist jetzt nicht an der Reihe.«
    Tom machte einige Schritte durch den Raum. Er wirkte angespannt, aber gleichzeitig strahlte er eine Sicherheit aus, die Rose irritierte. »Also, ihr habt Angst. Dabei habt ihr doch gar keinen Grund dazu.

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