Das Erbe
Tür. Euch bleibt noch ein bisschen Zeit. Ich will, dass ihr die Angst spürt.«
Jemand, nein, nicht jemand, sie selbst war es, die Debbie von der Tür wegzog.
»Sag ihr, sie soll die Klappe halten, Rose.« Toms Hand fuhr durch die Haare und verriet dadurch seine Nervosität. »Ich kann ihr Gekreische nicht ertragen. Davon bekomme ich Kopfschmerzen.«
»Wir sind sechsundzwanzig Leute hier. Glaubst du wirklich, du hast eine Chance gegen uns?« Chris sah sich im Raum um. Niemand bewegte sich. »Und diese angebliche Bombe, die du da hast, das ist doch nur ein billiger Bluff.«
»Ja, das ist ein Problem, Bishop. Du weißt es einfach nicht. Hier geht es um Vertrauen, verstehst du? Ob das Ding in die Luft geht oder nicht, das erfahrt ihr schon noch.« Er blickte auf seine Armbanduhr. »Genauer gesagt, in 202 Minuten.« Er lachte selbstgefällig. »Ihr wollt wissen, warum gerade 202 Minuten? Schon mal was von Apocalypse Now gehört? Natürlich im Director’s Cut. Das hier wird eure Apokalypse. Und es ist eure Entscheidung, ob ihr Statisten bleibt oder mitspielen wollt.«
Einige Studenten erhoben sich und traten neben Chris. Zu ihnen gehörte Katie. Rose erkannte auch Taylor und Ethan, sie beide spielten in der Football-Mannschaft des Colleges. Die Situation drohte zu eskalieren.
Aber dann verstand sie, wie gut Tom sich vorbereitet hatte. Und was er mit Requisiten meinte. Ein Griff in den Mantel und in der nächsten Sekunde hielt er eine Pistole in der Hand. Er richtete sie auf Chris.
»Die hier ist garantiert kein Bluff«, erklärte er. »Jeder geht jetzt auf seinen Platz. Und die gute Nachricht: Ihr braucht nicht länger am Boden zu liegen. Setzt euch einfach wieder hinter eure Tische. Möge die Show beginnen.«
Möge die Show beginnen.
Dasselbe hatte Tom damals auf der Party am Bootshaus gesagt, als er auf die Tonne stieg und sie alle mit Filmzitaten unterhielt. Rose erinnerte sich daran, wie sie sich über ihn amüsiert hat. Bevor das mit Robert passierte.
Er ist nichts als ein Schauspieler, dachte sie. Er spielt eine Rolle und er fühlt sich nur wohl, wenn er genügend Zuschauer hat. Ihr Blick ging hoch zur Videokamera. Da draußen hatten sie vielleicht schon begriffen, was hier in diesem Raum vor sich ging. Ihnen würde etwas einfallen. Sie würden die Lage unter ihre Kontrolle bringen. Aber es stellte sich kein Gefühl der Beruhigung ein. Etwas stimmte nicht. Etwas fehlte. Und dann begriff sie. Das rote Licht leuchtete nicht. Das Lämpchen, das die Aktivität der Kamera anzeigte, war erloschen. Die Kamera war außer Betrieb.
Die ganze Zeit seit Beginn dieses Albtraums hatte Rose sich damit zu beruhigen versucht, dass sie hier in diesem Raum in Sicherheit waren. Solange sie sich an die Regeln und Sicherheitsvorschriften hielten, würde ihnen nichts passieren.
Aber das war vorbei. Diese Sicherheit hatte nie existiert. Denn der Feind war mitten unter ihnen.
6. Im Zeichen des Fuchses
Mit lautem Knirschen verschloss sich die Wand, bis kein Spalt mehr zu erkennen war. Die Teile fügten sich nahtlos ineinander. Wusste Robert, was der Code bedeutete, oder ahnte er es nur? Er starrte ins Leere. Sein Gesicht war kalkweiß. Dann schüttelte er langsam den Kopf.
Ich spürte die Ungeduld wie einen körperlicher Schmerz, als ich Robert reglos dastehen sah, obwohl er offensichtlich verstanden hatte, was im College gerade passierte.
111 war der Code für einen Amoklauf, am Grace College wie in vielen anderen Schulen des nordamerikanischen Kontinents.
»Wir müssen zurück, Robert. Sofort!«
Während ich den Satz aussprach, fragte ich mich, was ich eigentlich tun wollte. Aber das war gleichgültig. Meine Aufgabe war klar. Ja, vielleicht war dieser Keller der beste Platz, um sich in Sicherheit zu bringen. Aber genau das konnte ich nicht tun. Mich einfach zu verstecken, gehörte nicht zu meinen Optionen.
Robert reagierte nicht.
»Lass uns gehen, Rob. Sie brauchen uns.« Ich wandte mich der Treppe zu und wartete nicht ab, ob er mir folgte.
Und für den Bruchteil einer Sekunde spürte ich tatsächlich eine Art Glücksgefühl. Auch wenn es statistisch eigentlich nicht möglich war – das hier war meine Chance. Die Gelegenheit, den Bann zu brechen, unter dem ich stand. Ich rannte die Treppe nach oben. Jetzt erschien mir der Weg kürzer als zuvor. Am Ende des Flurs sah ich die verschlossene Tür und riss sie auf. Der Gang davor war menschenleer, doch das wunderte mich nicht. Es gab einen Amokläufer im College, da
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