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Das Erbe

Das Erbe

Titel: Das Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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gleichgültigen Kopfschütteln.
    Schließlich ging ich in das Zelt, wo die Schüler, Lehrer und Eltern von Sanitätern und andere Hilfskräften behandelt wurden. Drei Mädchen aus meinem Jahrgang klammerten sich aneinander. Sie waren in diese Rettungsdecken gehüllt, die wie Alufolie glänzen, was den Mädchen ein irgendwie spaciges Aussehen gab. Es wirkte nicht einmal so verrückt. Schließlich hatten sie überlebt.
    Ein Mann, offenbar ein Geistlicher, der Kleidung nach zu urteilen, sprach ruhig auf sie ein. Aber der Ausdruck in ihren Gesichtern änderte sich nicht. Ich hatte nicht das Gefühl, dass seine Worte irgendeine Wirkung hatten. Ob sie überhaupt bei den dreien ankamen?
    »Habt ihr Vic gesehen?«, fragte ich und das erwartete Kopfschütteln folgte. Nur eine von ihnen, Natalie, schluchzte: »Byron ist tot, David. Er hat ihn erschossen. Ihn einfach erschossen.«
    Mir wurde schlecht. Welchen Grund hatte Jacob gehabt, gerade ihn zu töten? Byron war der geborene Loser. Ein Freak, der Schriftsteller werden wollte und uns mit seinen Gedichten und Kurzgeschichten langweilte.
    Der Geistliche legte mir die Hand auf die Schulter: »Alles, okay?«
    »Klar.«
    »Du suchst nach einer Freundin?«
    »Meiner Freundin«, verbesserte ich ihn.
    Er deutete auf das Nebengebäude, wo die Bibliothek untergebracht war. »Sie haben dort Listen aufgehängt.«
    Er musste mir nicht erklären, welche Listen er meinte.
    Ich setzte mich in Bewegung, wie ferngesteuert. Der Boden war wie ein Trampolin, als ich den Campus überquerte. Bei jedem Schritt fragte ich mich, ob ich wieder sicher landen würde.
    Es waren vor allem Eltern, die den Eingang zur Bibliothek belagerten. Man konnte sie in drei Gruppen einteilen. Diejenigen, die mit erleichtertem Gesichtsausdruck das Gebäude verließen. Diejenigen, die verunsichert, voller Angst, weinend hineingingen. Und dann die Mütter und Väter, denen anzusehen war, was sie gerade erfahren hatten. Ihre Kinder gehörten zu den Opfern oder den Verletzten.
    Ich schob mich an ihnen vorbei und betrat die Schulbibliothek. Erst gestern, am Spätnachmittag, hatte ich mir hier ein medizinisches Fachbuch ausgeliehen. Da war ich Jacob zum letzten Mal begegnet. Natürlich hatte er nicht einmal die Hand zum Gruß gehoben. Seit der Sache mit Vic ignorierte er mich.
    Warum hat er mich nicht einfach erschossen?
    Aber ich kannte den Grund.
    Die Listen hingen an dem Infoboard neben dem Tresen. Alle anderen Zettel und Aushänge hatte man entfernt. Normalerweise wurden hier die Veranstaltungen der Schule angekündigt. Ab und zu gab es auch Annoncen, wenn jemand sein Fahrrad zu verkaufen hatte oder seinen Tennisschläger.
    Ich sah zunächst unter den Verletzten nach. Als ich Vics Namen nicht finden konnte, war die Panik sofort da. Die Hülle um mich herum, dieser Luftballon, platzte einfach. Die andere Liste, die mit den Toten, war alphabetisch geordnet und mit dem Computer erstellt worden. Sie enthielt nicht mehr als vier Namen.
    Kristan Toshi
    Marsha Willeby
    Justin Abraham
    Byron Kennedy
    Vics Name fehlte.
    Ich war fast so weit, wieder an Gott zu glauben.

16. Im Zeichen des Windes
    Sobald Tom das Gespräch beendet hatte, blickte er sich um – mit einem triumphierenden Ausdruck im Gesicht. Dann lächelte er. Ein Lächeln, das Rose traf wie ein Peitschenhieb.
    Sie hörte, wie sich hinter ihr jemand übergab, und wandte sich um. Es war Jana Sanczez aus ihrem Kunstgeschichtekurs. Sie lag auf dem Boden und der Inhalt ihres Magens ergoss sich auf dem Fußboden. Es war nicht zu übersehen, was sie zum Frühstück hatte: Cornflakes, Milch und Orangensaft.
    »Ihr habt es gehört.« Tom zielte noch immer mit der Waffe auf Chris, der leichenblass war. Julia liefen Tränen übers Gesicht, aber sie war völlig ruhig und gab keinen Ton sich. »Ihr habt alle eine Chance. Und die Quote ist besser als bei einer Lotterie.«
    Rose starrte nach vorn. Warum? Die Frage wollte ihr noch immer nicht aus dem Kopf. Tom hatte viele Freunde am College und etliche Bewunderer. Er hatte im letzten Jahr als Hamlet den Theatersaal in atemlose Stille versetzt. Das machte das Ganze so absurd.
    Ob er Drogen nahm? Benjamin dealte schließlich, das war jedem bekannt. Zumindest hatte er das getan, bevor er wegen der Pilzgeschichte ins Krankenhaus gekommen war. Und es würde die Veränderung erklären, die in Tom vorging. Wie sehr musste er David hassen, wenn es ihm nicht so sehr um seinen Tod ging, sondern darum, ihn zu quälen. Wie sehr musste er sie

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