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Das Erbe

Das Erbe

Titel: Das Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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»Wir können Sie keinem Psychopathen ausliefern.«
    »Es ist meine Entscheidung.«
    »Aber Sie unterstehen unserer Verantwortung. Selbst wenn Sie dort hineingehen, heißt das noch lange nicht, dass er jemanden freilässt.«
    »Aber die Chancen sind höher.«
    »Ich habe nichts übrig für Glücksspiele.« Harper schüttelte den Kopf. »Wie gesagt«, erklärte er. »Ich habe die Dinge gerne unter Kontrolle.«
    »Ruf ihn an.«

15. Im Zeichen des Wolfes
    Ich stand direkt neben Harper, als er die Nummer aufrief. Er aktivierte den Lautsprecher. Wir hörten den Freiton viermal. Lange. Anhaltend. Ich rechnete schon damit, dass die Mailbox sich meldete, als im letzten Moment jemand sagte: »Ja.«
    Harper reichte mir das Handy. Ich hielt es zuerst verkehrt ans Ohr. Erst als Tom am anderen Ende sagte: »Verarschen Sie mich nicht«, begriff ich meinen Fehler.
    Ich schluckte, in meinen Ohren rauschte es, aber ich setzte alle Kraft ein, um meiner Stimme einen ruhigen, besonnenen Ton zu verleihen. Ich war wieder der David, den jeder am Grace College kannte. Der Mann, der allseits bereit war. »Ich bin es. David.«
    »Wurde auch Zeit.«
    »Jetzt bin ich da.«
    »Du weißt, wer ich bin? Man hat es dir gesagt?«
    »Tom Levinski.«
    »Aber du hast keinen blassen Schimmer, was ich von dir will, oder?«
    »Du wirst es mir schon noch verraten.«
    »Hast du Angst?«
    »Nein.«
    Der Superintendent machte eine Geste. Ich sollte das Gespräch in die Länge ziehen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das machen sollte. Andererseits – Tom schien es nicht eilig zu haben.
    »Wie geht es den anderen?«, fragte ich und verzichtete auf Namen. Ich wollte Toms Aufmerksamkeit auf niemand Bestimmten lenken.
    Den Bruchteil einer Sekunde herrschte Ruhe am anderen Ende.
    »Na ja … Mrs Hill hat es leider schon erwischt. Sie musste sterben, David. Weil du nicht gekommen bist. Wie fühlt sich das an?«
    Ich hörte, wie Mrs Garcia nach Luft rang. Harper strich sich durch das Haar. Seine Stirnfalten wurden noch tiefer. Bisher keine Toten, hatte er gesagt. Er hatte sich getäuscht.
    Tom wollte mich provozieren. Den Schalter in meinem Kopf umdrehen. Vielleicht bluffte er nur. Ich durfte sein Spiel nicht mitspielen.
    »Wie fühlt es sich für dich an, Tom?«, gab ich zurück.
    »Versteh schon. Du meinst, du bleibst cool, was? Wie machst du das nur? Na ja, vielleicht liegt das an den Genen.«
    Ich schwieg.
    Harper warf mir einen verwirrten Blick zu, aber Tom lag offenbar selbst daran zu reden, denn nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Sag schon, um wessen Leben fürchtest du am meisten? Wer führt die Topliste an?«
    Erwartete er tatsächlich, dass ich eine Liste führte? Eine Rechnung aufstellte, wer mir gleichgültig war und wer nicht? Auf wen ich verzichten konnte und wen ich unbedingt retten wollte? Ich durfte nicht einmal daran denken. Er sollte mich nicht zum Richter über Leben und Tod machen.
    »Ist es Julia? Sie ist es, oder?«
    Ich sah, wie Ike durch die Tür kam und sich neben Robert stellte. Seine linke Flanke berührte dessen Bein, als wollte er ihn trösten. Robert hatte die Brille abgenommen. Seine Augen waren von einem dunklen, durchdringenden Blau. Und in diesem Blau spiegelte sich alles. Seine Angst um Julia. Seine verzweifelte Suche danach zu verstehen. Und noch etwas, das mich erschreckte. Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, spürte ich Misstrauen. Als sei er sich plötzlich nicht mehr sicher, als frage er sich, wer ich, David, eigentlich war. Vielleicht wollte Tom genau das: mir die Maske vom Gesicht ziehen.
    Julia. Sie ähnelte Vic. Nicht so sehr in ihrem Äußeren, vielmehr besaßen sie dieselbe Ausstrahlung. Diese Mischung aus Coolness und … wie sollte ich es nennen? Ernsthaftigkeit?
    »Bist du noch dran?«, hörte ich Tom fragen, »oder machst du schon schlapp?«
    »Was ist mit Julia?«
    »Julia. Julia.« Lachen am anderen Ende. »Wusste ich es doch. Du kannst beruhigt sein. Die brauche ich noch.«
    Ohne Robert anzusehen, spürte ich, wie er sich entspannte.
    »Kann ich mit ihr reden?«
    »Sie lebt. Das genügt.«
    »Was willst du?«
    »Wie oft muss ich das noch sagen? Dich.«
    »Warum?«
    »Nicht so neugierig.«
    »Ich komme, wenn du die anderen gehen lässt.«
    »Seit wann machst du die Regeln, Freeman? Wir verhandeln hier nicht.«
    Es war nur ein Versuch, aber ich erwiderte: »Dann komme ich nicht.«
    Ich sah, wie Superintendent Harper zufrieden nickte.
    »Seit meinem letzten Schuss sind jetzt schon fast fünfzehn Minuten um.

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