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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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Alle.«
    »Das sei mir Trost. Und dass wir in derselben Gruft begraben sein werden.«
    Schiller nickte, zog die Decke enger um die Schultern und nahm wieder an der Steintafel Platz.
    Von ihren Vorräten war nunmehr nur noch die Flasche Branntwein geblieben, die die Sprengung des Musentempels wie durch ein Wunder überstanden hatte. Arnim entkorkte die Flasche und bot sie im Kreise an, doch niemand sonst wollte sich diese starken Geister in den leeren Magen brennen, und so trank Arnim allein. Schon nach den ersten Schlucken war er trunken, und bald wüteten die Weingeister in seinem schwachen Blut, aber sie betäubten die Angst und den Hunger, und insgeheim wünschte Arnim, er würde, wenn er schon sterben müsse, im Rausch dahinscheiden. Der Branntwein trieb ihm die Tränen in die Augen, dazu brauchte es nicht mehr der Erinnerung an Bettines Treubruch.
    Zu zwei Dritteln hatte sich Arnim durch die Flasche gekämpft, da fiel sein Blick auf Schiller, der, mehr schlafend als wach, den Kopf auf beide Hände gestützt, am steinernen Tisch saß. Beim roten Schein der Fackel wirk te die Decke um seine Schultern wie ein purpurner Mantel – und sein roter Bart, der zwischen den stützenden Fingern hervorquoll, leuchtete wie Feuersglut. Arnim stockte der Atem. Er sprach ein stummes Gebet. Er sah zu seinen Gefährten, aber alle hatten sie die Augen geschlossen und wurden der Chimäre nicht teilhaftig. »Der Kaiser Friederich«, flüsterte Arnim. »Nun, Rhabarberkaiser, nicht wahr, es sitzt sich gut auf dem Thron?« Ernst und mild war das Antlitz des Angesprochenen, und nun nick te er einmal kurz und kaum merklich. Arnim trank einen weiteren Schluck. »Sollst leben, Friederich!« Dann begann vor seinen Augen Friedrichs Bart zu wachsen, so schnell, dass man dabei zusehen konnte; zwischen den Fingern hindurch kräuselte sich das rote Haar wie leckende Flammen und hatte die Hände alsbald bedeckt, wuchs abwärts auf den Tisch, wie von Zauberkraft durch den Stein hindurch und immer weiter, auf den Boden und um den Fels herum, ohne dass Friedrich dabei auch nur die Augenwimpern hob. Der Säbel an seiner Seite war zum Schwert geworden, und auf seinem Haupte war eine Krone erschienen.
    Beim Versuch, an den Schlafenden heranzutreten, um ihn zu wecken, fiel Arnim vornüber um, schlug dabei die Flasche entzwei und seine Stirn blutig und blieb besinnungslos liegen. Goethe breitete seine Decke über dem Geisterseher aus.

    Die Flamme der Fackel wurde kleiner und kleiner und erstarb schließlich ganz. Schemen waren noch im Schein der Glut auszumachen, aber als auch diese zu Asche wurde, strich Kleist ein letztes Mal über Humboldts Lo cke in seiner Westentasche. Dann spannte er den Hahn seiner Pistole und sprach: »Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein.«
    Goethe hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu, aber der Lärm, der auf Kleists letzte Worte folgte, war viel dumpfer als ein Pistolenschuss und um einiges gestreckter, wie fernes Donnergrollen. Irgendwo in der Höhle musste es einen Einbruch gegeben haben. Goethe hörte, wie Kleist den Hahn seiner Pistole wieder entspannte. Arnim rief etwas Unverständliches im Schlaf.
    Plötzlich ward Licht. Am oberen Ende der Halde, dort, wo Schiller und Goethe nach einem Ausgang gesucht hatten, lag eine brennende Fackel auf den herabgestürzten Felsen, ihr fernes Licht von Staubwolken verdunkelt und dennoch unendlich heller als die Schwärze zuvor. Mit klopfenden Schläfen beobachteten die Gefährten, wie droben aus einem Loch in der Decke, das durch den Einsturz entstanden war, das Ende eines Seils in die Höh le fiel und dicht neben der Fackel landete, und an diesem Seil herab kletterte.
    »Bettine.«
    »Darf ich meinen Augen trauen?«
    Wie sie auf dem Gipfel der Halde stand – so hoch über ihnen allen auf einer Wolke von Staub, die schwarzen Locken wie vom Sturmwind zerzaust, den Hirschfänger im Gürtel und die brennende Fackel in der Hand –, erschien sie den Gefährten wie eine Halbgöttin, wie die erste der Parzen, am Schicksalsfaden zu ihnen herabgestiegen, wie die Allegorie der Freiheit, die Licht in des Kerkers feuchte Finsternis bringt.

    Kleist war der Letzte, der am Seil aus dem Schacht geklettert kam. Die anderen halfen ihm aus dem Loch. Nach einer Weile konnten seine Augen die Mittagssonne verschmerzen, und er erkannte, dass er sich im Hof einer kleinen Burg befand, die vor langer Zeit verfallen war, und dass das Loch, durch das sie befreit worden waren, einstmals der Brunnen

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