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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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von seinen Armen umfing, entfernten sie den Rasenden von seinem Opfer. Kleist versuchte, sich aus der Umklammerung zu befreien, aber die anderen waren stärker, und als sie ihn fortzogen, gruben seine Hacken Furchen in Gips und Schiefer am Boden.
    »Hör, Capet, dir zerschlag ich alle Knochen!«, brüllte er, dass es von den Wänden der Höhle widerhallte. »Und wenn du fünfmal der König wärst, dafür sollst du bluten! Dein Odem ist Pest und deine Nähe Verderben! Schlan ge, giftige! In deiner Nähe stinkt es wie bei Mördern!«
    Unversehens wichen alle Wut und Kraft aus seinem Körper, und er sackte in den Armen der beiden anderen zusammen wie eine leblose Puppe. »Alexander!«, schluchzte er. Sacht setzten sie ihn nieder und blieben bei ihm, als er zu weinen begann. Bald hatte Kleist sein Gesicht in Arnims Rock verborgen und heulte wie ein Kind, und Arnim umfasste den zitternden Leib des Kameraden mit beiden Armen und wurde selbst von dessen Tränen zu eigenen Tränen gerührt.
    Auch Karl weinte nun, doch ihn tröstete niemand. Schiller stand noch immer vor ihm, die tropfende Fackel in der Hand, unbeweglich, als hätte die kalte Höhlenluft ihm das Blut in den Adern gefrieren lassen.
    »Ich bin so froh, dass ihr lebt«, sagte Karl und ver suchte ein Lächeln, »dass du lebst! Ich hatte solche Angst um dich.«
    Ungelenk stand Karl auf und umarmte Schiller. Der ließ es für einen Atemzug geschehen, drückte ihn dann aber mit der freien Hand von sich.
    »Heinrich spricht wahr«, sagte er: »Dein Geruch ist Mord. Ich kann dich nicht umarmen.«
    Karl ward von dieser Zurückweisung überrascht. »Vergib mir, Friedrich«, entgegnete er schließlich. »Vergib mir meine Flucht, vergib mir meine Furcht, doch ich –«
    »Nichts mehr. Kein Wort mehr. Sprich nicht weiter, ich bin taub für deine hohlen Worte«, entgegnete Schiller. »Alexander hat sein Leben für dich aufs Spiel gesetzt, und deinen großen Worten zum Trotz lässt du die erste und beste Gelegenheit, es ihm zu vergelten, ihn und uns zu retten, verstreichen, um dich – ja, um dich, was?, zum Teufel, was?, in einen anderen, nutzlosen Tod zu flüch ten, um dich in der Erde zu vergraben gleich einem – einem feigen Kaninchen, dem sechsten Schöpfungstag zum Schimpfe. Wie arm bist du, wie bettelarm geworden. Was ist in dich gefahren, dass dich dein königlicher Edelmut verlassen?«
    »Nein, Friedrich, du irrst sehr«, jammerte Karl. »Ich dachte so edel nicht, bei weitem nicht, als du mich gerne glauben machen möchtest. Ich bin kein König.«
    Schiller schwieg. Karl erwiderte seinen Blick, bis er ihm nicht länger standhielt. So warf er sich auf den Höhlenboden und umfasste die Fesseln seines Lehrmeisters. »Vergib mir! Ich beknie dich!«
    »Steh auf.«
    »Ich weiß, dass du mich nicht mehr achtest, aber ich ertrage nicht, dass du mich verstößt!«
    »Steh auf, und reize mich nicht mehr!«
    Aber Karl gehorchte nicht, und so befreite sich Schil ler, indem er einen Schritt zurück tat. Der geächtete Jüngling blieb weinend liegen, zerschmettert wie die Scherben unter ihm.

    Als aller Tränen versiegt waren, schritten sie voran, die Höhle auf der Suche nach einem Ausgang zu erkunden. Am Ende der langen Halle lag ein See von Wand zu Wand, den sie notgedrungen durchqueren mussten. Das grünschimmernde Wasser war so klar, dass man das Gestein am Grund gestochen scharf wie durch ein Brennglas sehen konnte. Arnim ging als Erster hindurch, und es überraschte, dass der Grottensee viel tiefer war, als er von Land aus erschien. Bis zum Gürtel stieg ihnen das Wasser, und Schiller schien es kälter selbst als seine unfreiwilligen Bäder in Ilm und Rhein.
    Am anderen Ufer öffnete sich die Höhle zu beiden Seiten, und die Decke lag deutlich höher, wie der Saal eines unterirdischen Schlosses. Lappen von Gips hingen auch hier über ihren Köpfen, die größten davon gut einen Klafter lang, und dennoch flach, wie versteinertes Papier; alte Bücherkrusten eines Riesen, hinter die das tanzende Licht der Fackel immer absonderlichere Schattenbilder malte. Ein jeder tat gut daran, nicht unter den Gipsgebilden zu verweilen, denn wären diese abgebrochen, sie hätten den Unglücklichen zweifelsohne erschlagen.
    Die Kaverne linker Hand war ein Halbkreis, deren hohe Wände keinen Durchschlupf erahnen ließen. Deswegen setzten die fünf ihre Suche in der rechten, größten Höhle fort. Von dieser wiederum gingen zwei weitere Höhlen ab: Die eine führte über einen Hang von grobem

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