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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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drei lange Tage fasten müssen und bin des Würgens leid.«
    »Ich will nicht, dass du gehst! Ich bitte dich, bleib bei mir!«
    »Eher will ich auf ewig in diese Höhle zurück, als auch nur einen Tag länger dein tumber Tanzbär sein. Die ganze Richtung unsrer Kräfte treibt entgegengesetzt. Dir wünsch ich Spaß mit deinem Greis.«
    Er setzte einen Schritt nach vorn, aber sie griff mit beiden Händen nach seinem Arm. »Was ist mit deiner Liebe, Achim?«
    »Meine Liebe? Meine Liebe ist mir heut gestorben, wo sie sich dem Feinde vermählt hat.«
    Er wartete, bis sie seinen Arm freigab, und setzte sei nen Weg nach Heidelberg dann fort, mit nichts dabei als den Kleidern, die er am Körper trug.

    Sie fanden das Lager so vor, wie sich einige von ihnen im Innern fühlten. Die Zelte waren zerrissen, umgestürzt und ohnedies von zahlreichen Kugeln zerlöchert, und alles Brauchbare war entweder geraubt oder zerstört. Der hübsche Scherenschnitt der Wirtstochter aus dem Spessart war wie das meiste andere Papier verbrannt worden. Der gesprengte Musentempel wirkte wie eine klaffende weiße Wunde im Leib des Berges. Am Rand der Senke hatten die Franzosen ihre Toten begraben; vier einfache Holzkreuze wuchsen hinter ebenso vielen Erdhaufen aus dem Boden, und unerträglicher noch wurde ihr Anblick durch die darauf eingeritzten Vornamen der Getöteten. Die Gefährten fanden kaum Nahrung, die nicht in den Dreck getreten oder von den Raben geraubt worden war, und selbst den Tabak hatten ihre Gegner mitgenommen. »Vielleicht ist das ein guter Zeitpunkt, mit dem Rauchen aufzuhören«, sagte Schiller, als er seine zerbrochene Pfeife in den Trümmern fand. Und als er die Überreste seiner kostbaren Armbrust aus dem Geröll vor dem Musentempel zog, fügte er hinzu: »Vielleicht ist es auch ein guter Zeitpunkt, mit dem Schießen aufzuhören.«
    Keine Viertelstunde später hatte Kleist beisammen, was noch zu benutzen war, und drängte die Gruppe zum Aufbruch. Goethe meinte, dass keine Eile bestehe, denn je weiter der Bluthund fort sei, desto sicherer waren sie auf dem Weg nach Weimar. Kleist entgegnete, ehrlich verblüfft, dass er mitnichten vorhabe, Karl nach Weimar zu bringen, sondern vielmehr Humboldt aus der Geiselnahme befreien wolle. Karl finde den Weg auch allein, Kleist aber wollte im Tal Pferde kaufen oder stehlen, ei nerlei, und damit Santing verfolgen, zurück bis nach Mainz oder, wenn es sein müsse, bis nach Paris. Goethe erinnerte ihn daran, dass Humboldt selbst die anderen gebeten hatte, sich nicht um ihn zu kümmern, sollte er in Gefangenschaft geraten, aber Kleist war für diese Belehrung taub. Als er begriff, dass niemand ihn auf der Jagd nach Capitaine Santing begleiten würde, wurde er wütend und beschimpfte die anderen als ebenso treu- und ehrlos wie den französischen Prinzen, wenn sie die Schwachherzigkeit besäßen, ausgerechnet Humboldt, der mehr als alle anderen für ihre Unternehmung getan hatte, seinem Geschick zu überlassen. Schließlich verlangte er von Goethe die versprochenen 150 Taler, doch hatten die Franzosen auch ihre Kriegskasse entdeckt und geplündert, und so konnte der Geheimrat lediglich versprechen, ihm die geforderte Summe in Weimar auszuzahlen. Kleist versprach, darauf zurückzukommen: »Und müsst ich Sie umkehren und den Betrag hellerweise aus Ihren Taschen herausschütteln!«
    Herzlich verabschiedete sich Kleist nur von Bettine; Schiller und Karl würdigte er keines weiteren Blickes, Goethe aber bedachte er mit einer Verwünschung, die seine gängigen Flüche sogar noch übertraf. Dann brach er auf, seinen Freund und Kameraden den Klauen des Feindes zu entreißen.
    »Mir wird ganz weh im Herzen«, sagte Bettine, als Kleist fort war. »Was wird nun aus Achim und Heinrich?«
    »Unter uns, ich bin sehr froh, dass ich die Tollhäusler los bin«, erwiderte Goethe. »Und Heinrich« – er spuckte den Namen regelrecht aus und zertrat eine lädierte Weinflasche endgültig zu Scherben –, »Heinrich kann mich im Arsch lecken.«

10
    WEIMAR

    Von Krautheim bis Buttelstedt konnten die Wanderer ihre Füße schonen, denn ein artiger Landmann, der mit seinen Ochsen auf dem Weg nach Buttelstedt war, ließ sie auf seinem leeren Karren mitfahren. Auf der Lastfläche saßen sie einander gegenüber auf einer Kruste von altem Stroh und getrocknetem Mist und blickten aneinander vorbei auf die grünenden Felder. Durch ihre Köpfe geisterten Humboldt, den sie verraten, Arnim, den sie betrogen, und Kleist, den sie

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