Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
Vom Netzwerk:
Geröll aufwärts, dessen Ende nicht abzusehen war, die andere hingegen war niedrig und von Wasser bedeckt, so weit man schauen konnte. Nach gut fünfundzwanzig Schritt krümmte sie sich nach rechts, und was sich hinter der Biegung verbarg, war nur zu spekulieren.
    Im großen Saal in der Mitte türmten sich die Schieferplatten zu einem Buckel auf, und auf diesem richteten die Gefährten ihr Lager ein. Eine zweite Fackel wurde an der ersten entzündet, und man teilte sich in zwei Gruppen auf, um nach dem Ausgang dieser dunklen Kammer zu forschen. Dem unglücklichen Karl gegenüber verhielten sich die anderen so, als hätte er sich tatsächlich, wie es Arnim zuvor ausgerufen hatte, in Luft aufgelöst: Niemand sprach mehr mit ihm, und als die anderen ausschwärmten, blieb er allein im Schein seiner Kerze zurück.
    Kleist und Arnim kam die verdrießliche Aufgabe zu, die Grotte mit dem See zu erkunden, und so mussten sie, nachdem sie sich einiger Kleider entledigt hatten, abermals ins Wasser steigen. Bald staksend, bald schwimmend, drangen sie immer tiefer in die Grotte vor, stets darauf bedacht, die unersetzbare Fackel vom Wasser fernzuhalten. Hinter der Biegung hatten sie wieder festen Boden unter den Füßen, und nun mündete die Grotte in einem Gang, der den beiden vielversprechend erschien, weil er aufwärtsführte – aber anders als bei ihrem Eingang wurde der Spalt, den sie nun zu passieren hatten, nach vielen Windungen und Aufstiegen immer enger und enger und schließlich unpassierbar, weshalb ihre Suche als gescheitert gelten musste. Auf dem Rückweg entdeckten sie das Skelett eines Tieres, das wie sie offensichtlich in die Höhle hinein-, aber nicht wieder hinausgefunden hatte. Arnim mutmaßte, dass es sich um ein Rehkitz handelte, und Kleist bedauerte, Humboldt nicht an seiner Seite zu haben, denn der hätte die Knochen oh ne Zweifel klassifizieren können, wie er auch bei der Erkundung dieser Höhle ein unschätzbarer Kompagnon wäre. Der bloße Gedanke an den Verlorenen versetzte Kleist wieder in düstere Schwermut.
    Weniger eisig, dafür aber umso knochenbrecherischer war die Exkursion von Goethe und Schiller, denn der Hang von Geröll, den sie aufwärtskletterten, war alles andere als sicher: Die Schiefertafeln waren durch die feuchte Luft rutschig geworden und wackelten auf dem Untergrund, und die herabgefallenen Gipsplatten waren ein trügerischer Tritt, auf dem man sich leicht, wenn man nicht aufpasste, die Beine hätte brechen können. Als sie endlich die Halde erklommen hatten, suchten sie die De cke ab, wobei das Schattenspiel der Blätterteigdecke ihnen oftmals Öffnungen vorgaukelte, wo keine waren. Sicher schien am Ende nur eines: Es hatte über ihnen, in Reichweite ihrer Arme, einstmals einen Durchbruch durch den Schiefer gegeben, aber dieser war nun durch Gesteinsbrocken verschlossen. Wie hoch die Schicht darüber war, konnte niemand sagen, aber wollte man sich einen Weg hindurchbahnen, würden einen die herunterstürzenden Felsen vorher begraben, als stünde man in der unteren Hälfte einer riesigen Sanduhr.
    »Verfluchtes dumpfes Mauerloch!« Goethe schlug mit der Faust gegen die Decke. »Eingescharrt in der kalten Erde, so eng! so finster! Hier ist kein Ausweg, kein Rat und keine Flucht.«
    »Kommen Sie, lassen Sie uns niedersitzen«, sagte Schiller. »Ich fühle mich erschöpft und matt.«
    Sie nahmen auf den Felsen Platz und schwiegen, das Unaussprechliche zwischen sich. Unten, am Fuß der Hal de, sah man das winzige Licht von Karls Kerze, ein Nadelloch im schwarzen Gewand der Höhle.
    »Das Licht der Sonne schauen wir niemals wieder«, sagte Schiller nach einer ganzen Weile. »Wir sind dem Tode geweiht.«
    »Sie sprechen ein großes Wort gelassen aus«, entgegnete Goethe. »In einer Höhle eingesperrt mit Heinrich von Kleist: So stell ich mir die Hölle vor.« Er lachte gallig. »Hatte er sich nicht seinerzeit am Frauenplan ge wünscht, ich möge nimmer von meiner Reise heimkeh ren? Wie’s scheint, wird sein Wunsch nun grausig in Erfüllung gehen.«
    »Lassen Sie uns bis zuletzt an unsre Rettung glauben.«
    »Haben wir eine Ursache dafür?«
    »Keine. Aber wir sollten den jungen Kerls dort unten die Zeit erleichtern.«
    Nun begannen sie den beschwerlichen Abstieg. Zurück im großen Saal, tranken sie beim Grottensee Wasser aus der hohlen Hand, und es war köstlich. Verdursten würden sie also nicht. Wenig nach ihnen kehrten auch Arnim und Kleist zurück, und jedermanns Hoffnung, die

Weitere Kostenlose Bücher