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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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dieser Burg gewesen war. Es war die Ruine unweit ihres Lagers, von der Arnim erzählt hatte.
    Am Boden lagen Bettines Ranzen und einige Fackeln. Das Seil, das gut fünf Klafter in die Tiefe reichte, hatte sie am Stamm einer wuchernden Birke vertäut.
    »War je ein Traum so bunt, als was hier wahr ist?«, fragte Kleist, als er wieder bei Atem war.
    Bettine, die nicht weniger erschöpft und ausgezehrt schien als die Männer, reichte diesen Brot und Käse, die sie noch aus dem Lager hatte retten können. Sie berichte te, dass sie am Abend des Angriffs bei ihrer Heimkehr vom Rabenfelsen rechtzeitig die Schüsse vernommen hatte. Anstatt sich aber sogleich auf die Flucht zu machen oder sich mindestens zu verbergen, schlich sie sich so nah als möglich an die Angreifer heran. Als sie ihrer neun zählte, darunter den ruchlosen Capitaine, entschied sie, dass sie, unbewaffnet und allein, ihren Gefährten im Musentempel nicht würde helfen können. In einem sicheren Versteck betete sie für das Wohlergehen ihrer Kameraden und war so lange guten Mutes, bis der Bombenschlag den Kyffhäuser erschütterte. Nach einer schlaflosen Nacht wagte sie sich am nächsten Morgen wieder ins Lager. Santing war fort, und nur die toten Franzosen waren geblieben. Mit dem ausgestattet, was sie beim verwüsteten Lager noch gefunden hatte, machte sich Bettine nun auf die Suche nach den Verschütteten, denn dass ein Durchkommen durch den abgesprengten Fels undenkbar war, erkannte auch der Blick eines Laien. Ohne Unterlass suchte sie den Berg ab und schlief nur dann, wenn die Dunkelheit ihr die Sicht versagte. Doch am dritten Tag nach dem Gefecht – denn dieser war es bereits –, als sie auf die Ruine stieß, von der Arnim so geschwärmt hatte, gab sie die Gefährten endlich verloren. Zwischen den geborstenen Mauern weinte sie bitterliche Tränen um die Gefallenen – da war plötzlich unter der Erde ein Schuss ertönt und wenig später ein zweiter, dessen Hall der Brunnenschacht zu ihr ans Tageslicht trug. Froh um dies Zeichen, aber zugleich angsterfüllt, sie könne zu spät kommen, ließ sie sich mit einem Seil und einer Fackel in den verfallenen Brunnen hinab und fand auf dessen Grund ineinander verkeilte Felsen. Dieser Barriere wuss te sie sich nur auf eine Weise zu entledigen: indem sie, zurück an der Oberfläche, den schwersten der herumliegenden Mauersteine über den Rasen zum Brunnenloch wälzte und dann hinein, wo er fünf Klafter tiefer unter großem Getöse die querstehenden Felsen zerschlug und den Weg in die Grotte freigab.
    Noch bevor jemand der Retterin danken konnte, erkundigte sich Kleist nach Humboldts Schicksal, aber hierzu konnte Bettine nichts sagen. Da sie bei ihrer Tage währenden Suche aber auf keine Spur von ihm stieß, weder lebend noch, Gott behüte, tot, nahm sie an, der Ingolstädter Capitaine habe seine Geisel mit sich genommen; eine Nachricht, von der Kleist nicht wusste, ob er Gott dafür danken oder verdammen sollte.
    Arnim stand abseits der Gruppe, seit er aus dem Loch gekrochen war. Noch immer tropfte ihm Wasser von Bart und Schopf, denn die anderen hatten, um ihn aus seinem Rausch zu wecken, seinen Kopf in den eisigen Grottensee getaucht. Sein Magen lechzte nach einer Mahlzeit, aber für Brot aus Bettines Hand war er zu stolz. Auf einer der verwitterten Mauern saß ein Rabe und betrachtete ihn, der Beweis dafür, dass sein Erlebnis in der Höhle tatsächlich nur ein Hirngespinst gewesen war.
    Als Goethe einmal mehr seine Arme um Bettine schlang, um ihr für die heldenhafte Errettung zu danken, verließ Arnim den alten Burghof, stieg eine überwachse ne Treppe hinab in den Wald, auf einen Pfad ins Tal. Niemand schien seinen stummen Abschied bemerkt zu haben, aber als er eine Minute gelaufen war, hörte er es im Unterholz hinter sich knacken, und bald stand Bettine vor ihm.
    »Wohin um alles in der Welt?«, rief sie und rang nach Atem, das Gesicht hochrot.
    »Fort, nach Heidelberg. Lebe für immer wohl, Bettine, und Dank für deine Hilfe.«
    »Bist du närrisch? Nein, trunken bist du!«
    »Der Wein muss noch gekeltert werden, der meinen Schmerz betäubt«, sagte er mit solchem Nachdruck, dass Bettine beschämt die Augen niederschlug. »Dein Herz ist wie ein Taubenhaus: Fliegt einer rein, der andre raus.«
    »Achim –«
    »Dass ich nichts von dir erwarten, nichts von dir verlangen sollte, dass ich dir sei wie andre mehr und andres mehr, daran würgte ich so lange, wie ich mein Essen schluckte. Aber nun habe ich

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