Das Erlkönig-Manöver
mit Messingknöpfen. Der Mann hatte tatsächlich eine Pistole bei sich, allerdings im Hosenbund. Es war ein einfaches Modell mit einem kleinen Lauf, fast wie für eine Frau gemacht. Schiller zog die Waffe heraus.
Goethe war nun mit blankem Dolch zu den beiden geeilt. »Mir scheint’s, der Spitzbube wollte gerade auf Sie anlegen«, sagte Schiller.
»Wer schickt dich?«, fragte ihn Goethe. Ihr Verfolger schien die Frage nicht zu verstehen. »Qui t’envoie?«
Der Mann nickte nun, so gut es die Klinge an seinem Hals zuließ. »Die Frage hab ich schon verstanden, Herr von Goethe, aber ich habe sie nicht … verstanden.«
»Er will wissen, in wes Auftrag du arbeitest, Rabenaas!«, herrschte ihn Schiller an.
»Auftrag …? Ich komme in keines Mannes Auftrag. Ich komme für mich selbst, Herr von Goethe, ich wollte …« Als er in seine Innentasche griff, bedeutete ihm Schiller, es langsam zu tun – und langsam zog er ein kleines Buch heraus: Die Leiden des jungen Werthers. »… ich wollte nur ein Autogramm von Ihnen erbitten.«
»O Gott«, sagte Goethe, die Hand über den Augen, und Schiller fügte entnervt hinzu: »Das darf doch nicht wahr sein.« Er setzte seine Klinge wieder ab.
»Ich vergöttere Sie, Herr von Goethe«, stammelte der Mann. »Ihr Werther ist mir mein treuester Freund geworden.«
»Mein junger Herr, wir sind in großer Verlegenheit«, sagte Goethe, indem er seinem Verfolger wieder auf die Beine half. »Bitte entschuldigen Sie unsern rabiaten Überfall. Wir hielten Sie für einen Feind.«
»Friedrich Nicolai?«
»Etwas in der Art.«
»Bekomme ich denn trotzdem noch eine Signatur von Ihnen?«
»Sicherlich.«
Goethe ließ sich den Band reichen sowie eine Schreibfeder und Tinte, die der junge Mann vorsorglich mitgebracht hatte, und über seinem Porträt auf der ersten Seite unterzeichnete er. Der Wertherianer war freudetrunken.
»Wenn Sie uns nicht angreifen wollten, wozu dann die Pistole?«, fragte Schiller, der sie noch immer hielt.
Der Bursche lächelte traurig. »Herr von Goethe wird es ahnen: Um mir, sollte ich dies qualvolle Leben nicht länger ertragen, eine Kugel vor den Kopf zu schießen.«
»Pfui!«, schalt Goethe.
»Aber Ihr Werther hat es doch vorgemacht, als die Leiden der Liebe ihn erdrückten.«
»Sie sollen Trost aus seinen Leiden schöpfen, Sackerlot, nicht ihm folgen! Ich schrieb das Buch nicht, damit irgendwelche beschränkten Geister den schwachen Rest ihres bisschen Lichtes vollends ausblasen. – Was haben Sie für dieses Terzerol bezahlt?«
»Ich … was? Sechs Taler.«
Goethe griff in seine Börse. »Hier ist Ihr Buch zurück, und hier sind sechs Taler für Ihre Waffe.«
»Aber –«
»Nichts aber. Betrinken Sie sich, wenn Sie Liebeskummers leiden, oder nehmen Sie sich meinetwegen eine Dirne, aber schießen Sie sich bitte nicht das Hirn aus dem Kasten. Und kaufen Sie sich um Gottes willen neue Kleider; gelb und blau sind schon lange aus der Mode.«
Erst jetzt führte Schiller seinen Säbel zurück in die Scheide, und mit ihrer neu erworbenen Waffe verließen sie den Wertherianer, der sich erst wieder regte, als die Tinte in seinem Büchlein und der Morast auf seinen Hosen getrocknet waren.
Nach einem allzu kurzen Besuch bei seiner Mutter kehrte Goethe zurück ins Brentanohaus, derweil Schiller Boris und die Kutsche vom Domplatz abholte. Alexander von Humboldt war lange erwacht und hatte sich mehrmals für sein Einnicken entschuldigt.
Sowohl Bettine als auch Arnim hatten solide Reisekleider angelegt, und während man ihr spärliches Gepäck auf die Straße schaffte, bat Sophie von La Roche den Geheimrat auf ein Wort privatim in ihr Boudoir. Dort wies sie ihn darauf hin, dass sie Bettine unter gewöhnlichen Umständen nicht hätte ziehen lassen, aber auch sie wünsche die Rettung des jungen Königs, mehr noch: sei ne Restauration und den Sturz des scheußlichen Bonaparte. Frankfurt sei in den letzten Jahren zweimal vom Franzo sen überrannt und besetzt worden, ihre Erinnerungen daran seien noch frisch, und ein drittes Mal würde sie nicht überleben.
»Es ist mir wichtig, dass Bettine heilen Leibes zurück kehrt«, schloss sie, »aber auch ihr Herz soll keinen Scha den nehmen. Wenn vielleicht nicht zur Freude aller Famili en mitglieder, so doch aber zumindest zu meiner, sind Betti ne und der Freiherr von Arnim so gut als verlobt, und daran soll sich auch während eures Mainzer Abenteuers nichts ändern, wenn du nicht willst, dass ich dir die Ohren lang
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