Das Erlkönig-Manöver
Frau von La Roche, doch die hob die Schultern. »Das Kind ist mündig. Ich bewundere ihren Mut und überlasse diese Entscheidung ganz ihr. Wenn sie nach Mainz will, so soll sie gehen.«
»Und wir, Frau von La Roche, wollen Ihre Enkelin schützen mit Glut und Blut, dass sie nach Frankfurt heimkehrt, ohne dass auch nur ein Haar an ihr fehlt«, versprach Schiller.
»Dann ist es resolviert«, sagte Goethe. »Pack deine Sachen, Bettine, wir wollen unsre Reise baldmöglichst fortsetzen.«
Nun rührte sich Achim von Arnim. »Es fällt mir schwer, meine Herren, Ihnen, meinen Idolen, zu widersprechen, doch ich muss Bettinen verbieten, Sie zu begleiten. Ich habe ihrem Bruder mein Wort gegeben, dass ich auf sie achtgebe und vor jeglicher Torheit schütze. Und was Sie beabsichtigen, ist, mit Verlaub, Torheit.«
»Achim!«, sagte Bettine empört. »Du Spaßverderber!«
»Es ist kein Spaß, Bettine, es fordert Knochen! Hör doch: Es soll nach Frankreich gehen, und dafür ist es jetzt eine harte Zeit! Die Franken stoßen dich mit der Mörserkeule klein, eh du dich versiehst.«
»Dann wollen Sie die Franken nicht bekämpfen?«, fragte Goethe.
»Ich hasse die Franken wie jeder brave Deutsche. Wie kann man diese Strauchdiebe auch nicht hassen, nachdem sie halb Deutschland uns entrissen haben? Und wir Deutschen sitzen untätig da wie Odysseus in seinem Haus und lassen uns Kuhfüße ins Gesicht werfen von den fremden Freiern, die an unserm Tische zechen! – Aber was geht mich ihr König an? Sollen sich die Franken nur bei Madame Guillotine die Klinke in die Hand drücken. Je mehr sich gegenseitig umbringen, desto weniger gibt es dereinst von ihnen.«
Bettine erhob sich und trat an Arnim heran. »Du musst mir zu gehen erlauben. Ich will mir nicht vorwerfen lassen, dass ein unschuldiger Mensch starb, weil ich müßig blieb.«
»Es geht nicht, und das weißt du. Ich habe Clemens mein Wort gegeben. Er würde mich in Stücke reißen, erführe er, dass ich dich in diese Löwengrube habe gehen lassen.«
»Aber Clemens ist in Heidelberg, und er wird nie etwas davon erfahren«, sagte Bettine, jetzt schmeichlerisch, und zur Überraschung aller setzte sie sich Arnim auf den Schoß. »Im Übrigen kannst du gar nicht verhindern, dass ich gehe. Willst du mich denn in meine Stube sperren und den Schlüssel verstecken, du brummige Natur? Wenn du mich schon so bemuttern willst, dann komm mit uns, bemuttere mich drüben in Frankreich.«
Bettine setzte einen flehentlichen Blick auf wie ein Kind und kraulte Arnim am Ohr. Dem war die Situation nun mehr als peinlich. Er errötete unter ihrer Zudringlichkeit, und man sah förmlich, wie ihm die Hitze aus dem Kragen stieg.
»Gut, und wenn ich es bereuen werde: Ich gebe nach. Ich begleite dich.«
Bettine juchzte und drückte Arnim einen Kuss auf die Wange. »Und ich verspreche dir, mein Liebster, sobald der kleine Dauphin aus dem Kerker heraus ist, kehre ich tugendsam zurück an Heim und Herd.«
»Ich gratuliere Ihnen zu diesem Entschluss, Herr von Arnim«, sagte Schiller, »und ich freue mich, Sie als unsern Gefährten zu wissen.«
»Aber wenn Bettinen etwas zustößt, dann Gnade uns Gott. Mit den Franzosen ist’s ein böses Kirschenessen, aber sie sind nichts im Vergleich zu Clemens.«
Mit diesen missvergnügten Worten wurde die Unterredung beendet, und während Bettine und Arnim ihr Gepäck zusammenräumten und Humboldt in der Gesellschaft der alten Frau von La Roche weiterschlief, wollte Goethe wenigstens kurz seine Mutter besuchen, und Schiller schloss sich ihm an.
Bis zur Weißadlergasse sagte Goethe kein Wort. »Brechen Sie dies rätselhafte Schweigen«, ersuchte ihn Schiller. »Ist Ihnen nicht wohl?«
»Doch, doch. Ich bedauere lediglich, dass wir Bettine nur um den Freiherrn von Arnim bekommen haben.«
»Missfällt er Ihnen als Mensch?«
»Hm.«
»Oder als Dichter?«
»Ich finde ihn in beiden Eigenschaften eher farblos. Nein, er ist sicherlich ein braver, lieber Mann, dem man gut sein muss. Immerhin hat er mir seine Volksliedersammlung gewidmet.«
»Ganz recht. Ein Kerl, dem man seine Tochter gerne anvertraut.«
»Ich fürchte nur, dass unsre Gruppe allmählich zu groß wird. Fünf sind zu viel.«
»Aber nicht doch. Die Fünf ist eine gute Zahl. Fünf ist die Zahl der Finger einer Faust. Fünf ist des Menschen Seele. Wie der Mensch aus Gutem und Bösem gemischt ist, so ist die Fünf die erste Zahl aus Gerade und Ungerade.«
»Hören Sie sich eigentlich manchmal selbst zu? Sie
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