Das Erlkönig-Manöver
Schiller, der berüchtigte junge Stürmer. Ihre Kabale hat die Frankfurter damals arg verstört.«
»Sollte ich je gestürmt haben, der Sturm ist lange vorüber, meine Verehrte«, sagte Schiller.
»Und sollte er je jung gewesen sein, ist es mindestens ebenso lang vorüber«, fügte Goethe hinzu.
Frau von La Roche bat die Männer, Platz zu nehmen. »Was bringt dich in meine Grillenhütte, Johann? Du bist sicherlich nicht den weiten Weg von Weimar hierhergekommen, um meinen kostbaren Teppich mit deinen schlammigen Stiefeln zu ruinieren. Besuchst du deine Mutter?«
»So die Zeit reicht. Vor allem aber bin ich hier, weil ich ein Anliegen an Ihre Enkelin habe, die ich bislang nur aus ihren Briefen kenne.«
»Ei, hast du das? Nun, ihr werdet bedauerlicherweise noch einen Augenblick mit der Gegenwart ihres Großmütterchens vorliebnehmen müssen, denn Bettine ist in der Kirche.«
Nach Ablauf einer halben Stunde, in der Goethe der Frau von La Roche von Wieland und sie ihm wiederum von seiner Mutter berichtete, knallten rasche Schritte auf der Treppe. Die Tür flog auf, und im Rahmen stand eine kleine, zarte Gestalt: Bettine Brentano, noch im Mantel, mit feurigen Augen, glühenden Wangen und fein gekräuseltem Haar. Sie nahm die Haube von ihren rabenschwarzen Locken.
»Gemach, Kind«, sagte ihre Großmutter, aber Bettine hörte nicht und eilte auf Goethe zu, der sich soeben von seinem Sessel erhob. Für einen Moment standen die beiden einander gegenüber, dann streckte ihr Goethe seine Hand entgegen. Bettine zögerte, ergriff sie dann aber mit beiden Händen und starrte ihn mit ihren braunen Augen an.
»Mamsell Brentano«, sagte Goethe.
»Goethe«, sagte sie und atmete tief ein. »So treffen wir uns endlich.«
Nun kam auch Bettines Begleiter in den Salon, ein kräftiger Mann mit dem Antlitz eines römischen Marmorbildes, kaum älter als Bettine; ein lieblicher Mund, nicht zu große, aber scharf und fest blickende Augen, das alles von blondem Haar umrahmt und von leichter Melancholie umspielt – im Ganzen mindestens ebenso hübsch wie Humboldt, wenn nicht hübscher, weil jünger und noch nicht von Reisen und Jahren gezeichnet; weniger Faust, mehr Euphorion, weniger Karl, mehr Ferdinand. Er betrachtete Bettine und Goethe, bis deren Händedruck beendet war und sie ihn, Achim von Arnim, den Kollegen und Busenfreund ihres Bruders Clemens, der Runde vorstellte. Als alle Anwesenden einander begrüßt hatten, fiel die anfängliche Starre von Arnim ab, und er machte seiner Begeisterung Luft, so unverhofft seinen Abgöttern in persona zu begegnen, denn wiewohl er mit Goethe schon anno eins in Göttingen Bekanntschaft geschlossen hatte, sah er Schiller und Humboldt zum ersten Mal. Eine Wei le wurde recht chaotisch durcheinandergesprochen, derweil Bettine wie ein junger Hund zwischen den Gästen umherlief und sich nach deren Wünschen erkundigte und auch von ihrer Großmutter nicht zur Ruhe, ja, nicht einmal zum Niedersetzen gebracht werden konnte – bis Goethe schließlich räuspernd auf die Eile ihres Anliegens hinwies und Bettine, Arnim und der Frau von La Roche von ihrer Mainzer Unternehmung berichtete. Dabei verheimlichte er nicht, welche Rolle Bettine in ihrem Vorhaben spielen sollte, verzichtete aber wie schon bei Humboldt darauf, den weiteren Plan nach der Befreiung des Dauphins zu offenbaren. Schiller nahm als Einziger nicht wieder Platz, sondern blieb am Fenster stehen und schau te hinunter aufs Treiben in der Sandgasse.
Lange bevor Goethe geendet hatte, war Humboldt, der die Geschichte zum zweiten Mal hörte, ermüdet von der beschwerlichen Kutschfahrt und den Bewohnern Frankfurts, auf seinem Lehnsessel eingeschlafen. Nur ein Finger der linken Hand, die auf seinem Bauch lag, zuckte von Zeit zu Zeit, als würde er am Gehrock kratzen. Nachdem Bettine den Schlafenden sorgsam mit einer De cke aus dem Nachbarzimmer zugedeckt hatte, sagte sie leise: »Es wäre mir eine große Freude, dich über den Rhein zu begleiten. Sie zu begleiten.«
Goethe, der neben ihr auf der Chaiselongue saß, fasste kurz ihre Hand. »Sag nicht voreilig zu, Bettine. Wir tre ten gegen die Neufranken an, die sich zu den Herren der Welt aufschwingen. Es könnte halsgefährlich werden.«
»Man verliert nur, was man nicht wagt. Louis-Charles trägt keine Schuld für die Sünden seiner Eltern, und deshalb hat er nicht verdient, von diesem Verbrecher Bonaparte hingerichtet zu werden. Wenn ihr in den Krieg zieht, so geh ich mit.«
Goethe sah zur
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