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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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klingen wie ein betrunkener Sterndeuter.«
    »Mich dünkt vielmehr, dass Sie eifersüchtig auf den adretten Ritter aus Berlin sind.«
    »Sie dünkt falsch. Vergessen Sie nicht, ich bin nahezu dreimal so alt wie Bettine. Wie kommen Sie überhaupt auf diesen verqueren Gedanken?«
    »Nun, beim wunderbaren Gott! Das Weib ist schön! Vielleicht wie ihre selige Mutter so schön. Und Sie dul den gar, dass sie Sie duzt und mit dem Vornamen anredet. Und das schon beim ersten Zusammentreffen! Bislang habe ich gehört, dass dieses Privileg außer dem Herzog nur Menschen gebührt, die noch älter sind als Sie. Und das sind beileibe wenige.«
    »Ich will diese böse Spitze überhört haben.«
    »Mir beispielsweise haben Sie das Du in zehn Jahren Freundschaft nie angeboten.«
    Goethe lachte auf, blieb in der Gasse stehen und sah Schiller in die Augen. »Möchtest du das denn wirklich, Friedrich?«
    »Wir werden verfolgt.«
    »Wie bitte?«
    »Sehen Sie mir weiter in die Augen. Wir werden ver folgt«, sagte Schiller, und an seinem Tonfall begriff Goe the sofort, dass es kein Scherz war. »Hinter uns: der junge Kerl mit den gelben Beinkleidern, der jetzt so wissbegierig die Auslage des Gewürzladens betrachtet? Er folgt uns seit dem Goldenen Kopf , und als Sie stehen blieben, blieb auch er augenblicklich stehen. Ich schwöre, er folgt uns.«
    Goethe sah kurz zu ihrem Verfolger, und es war augenscheinlich, dass sich der Mann nicht für die ausgestellten Spezereien im Fenster interessierte.
    »Gehen wir weiter«, sagte Schiller, »aber nicht zum Rossmarkt.«
    Sie bogen schweigend in den Hirschgraben mainwärts ein. Die Gassen wurden nun noch enger und dunkler, denn die Häuserfronten waren hier nicht flach, sondern wölbten sich mit jedem Geschoss weiter nach draußen, sodass jedes Stockwerk breiter war als das darunterliegende und die Gasse eine regelrechte Schlucht. In einem nur mit hölzernem Gitterwerk verdeckten Hausflur im zweiten Geschoss saß ein Knabe und warf tönerne Schüsseln aufs Pflaster, wo sie mit großem Lärm und unter dem Applaus der Nachbarskinder zerbrachen.
    »Und dieser junge Bursche folgt uns schon seit Eisenach, sagen Sie?«, fragte Goethe, als sie an den Scherben vorüber waren.
    »Das weiß ich nicht. Aber er stromerte vorhin um das Brentano-Haus und schaute dabei immer wieder in ein kleines Büchlein, in dem, soweit ich das von oben sehen konnte, ein gestochenes Porträt abgebildet war.«
    »Fixlaudon! Steckbriefe von uns?«
    »Was weiß ich.«
    »Offensichtlich hat diese Madame Botta nicht übertrieben mit ihrer Vorsicht. – Was machen wir jetzt?«
    »Wir trennen uns. Dann muss dieser Bonapartist, sollte er allein sein, sich für einen von uns beiden entscheiden. Der andere folgt ihm wiederum und stellt ihn bei passender Gelegenheit. Sind Sie bewaffnet?«
    Goethe hob kurz den Mantel und wies auf den Dolch im Gewand. Schiller trug seinen Säbel am Gürtel. Die Schusswaffen hatten sie in der Kutsche gelassen.
    »Nehmen Sie sich in Acht«, sagte Goethe, »vielleicht ist der Kerl desperat.«
    Am Ende des Hirschgrabens trennten sie sich. Schiller ging nach rechts zum Weißfrauenkloster, Goethe linker Hand in die Münzgasse. Der Mann in den gelben Beinkleidern folgte ohne Zögern Letzterem, und nicht ein einziges Mal drehte er sich nach Schiller um, den er nun seinerseits im Rücken hatte. Zu dritt liefen Verfolgter, Verfolger und Verfolger des Verfolgers durch die geschäftigen Gassen der Stadt. Goethe schlug so lange unsinnige Haken – über den Kornmarkt, vorbei an der unvollendeten Barfüßerkirche, wieder über den Römer –, bis unumstößlich gewiss war, dass es der Bursche auf den Dichter abgesehen hatte.
    Sie waren schließlich in die abgelegene Saalgasse gekommen, in der sie die einzigen Passanten waren. Hier blieb Goethes Verfolger unvermittelt stehen. Er griff mit der rechten Hand ins Innere seines Mantels. Schiller reagierte sofort: Er rannte übers nasse Pflaster und den Mann Schulter voran um, noch bevor der seine Waffe ziehen konnte. Beide landeten im Dreck, aber Schiller war schnell wieder auf den Beinen, um seinen Säbel zu ziehen und an die Gurgel des Mannes zu setzen.
    »Sachte, Kanaille«, zischte Schiller. »Ein Mucks, und du speist Blut.«
    Der Mann war blass geworden wie eine Leiche, und mit zitternden Händen stützte er sich im Morast ab. Schiller schlug, ohne den Säbel zu entfernen, den Mantel des Mannes zur Seite. Die Weste darunter war gelb wie die Hosen und der Frack dunkelblau

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