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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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in den Tod zu schicken. Dann fuhr er davon.
    Als sie zu Schiller ans Ufer kamen, war dieser mit dem ergrauten Fischer schon handelseinig geworden. Der Mann trug eine Kappe und kaute auf einer erloschenen Pfeife. Seine beiden Enkel, ein hübsches Mädchen und ein kleiner Bub, hoben zwei Holzbretter als Bänke auf die Bordwände. Sie betrachteten die Fremden mit großen Augen. Der Fischer wollte seine unverhofften Passagiere kaum mit einem Nicken begrüßen, geschweige denn mit ihnen sprechen, so als könne ihm jedes Wort mit den Grenzgängern nur Ärger einhandeln.
    Schiller war der Erste, der an Bord ging. »Nehmt Abschied von der deutschen Erde. Auf dass uns der vaterländische Geist begleite, wenn uns dies schwankende Boot hinüberträgt auf die linke Seite; dorthin, wo die deutsche Treue vergeht.«
    Sobald alle im Kahn Platz genommen hatten und ihre Bündel verstaut waren, stieß der alte Fischer ab und fuhr mit großem Geschick über den Strom.
    Die Sonne war fast über dem Land, die Spitzen der Bäume und Berge glänzten schon, und nur im Westen, über der alten Burgruine, war der Himmel noch schiefergrau. Zwischen den Wolkenfetzen zogen einige Vögel ostwärts. Im Bug des Kahns saß Goethe, als Einziger mit dem Rücken zum französischen Ufer, die Augen geschlossen. Eine Brise brachte die Wellen zum Klingen wie die Saiten einer Äolsharfe, und von Goethe unbemerkt, glich sein Atem sich dem Takt des Ruders an.
    Goethe gegenüber saß Humboldt auf dem ersten der beiden Bretter, das Kinn in der rechten Hand abgelegt. Er starrte auf die Oberfläche des Wassers, als würden seine Blicke sie durchbrechen können und bis auf den Grund hinabsehen, vielleicht den Hort der Nibelungen dort entdecken. Der Knabe zwischen ihm und Goethe tat es ihm gleich; Arm und Kopf auf die Wand des Nachens gelehnt, betrachtete er sein schläfriges Spiegelbild auf den Wellen. Am Ufer hatte er einen Zweig abgebrochen, mit dem er dann und wann das eisige Wasser durchbrach.
    Schiller stand als Einziger im Kahn und stützte sich auf seinen Knotenstock. Er hatte nicht einmal seinen Tornister abgenommen. Den Kopf in den Nacken gelegt, hielt er Ausschau nach französischen Wächtern bei der verfallenen Burg. Doch das andere Ufer blieb verlassen, und bald wanderte sein Blick hoch zur Mondsichel über den Felsen, ein paar Silberhörner im goldenen Himmel, und blieb dort hängen.
    Auf der zweiten Bank saßen Bettine und Arnim dicht nebeneinander. Bettine hatte die Hände in den Schoß gelegt. Sie fror. Als Arnim sah, wie ein Schauern durch ihren Körper ging, legte er eine Hand auf die ihre und die andere unbeholfen um ihre Schultern – dankbar darüber, dass die Männer im gleichen Moment anderswo mit ih ren Blicken waren.
    Der Fischer im Heck hatte die Augen fest aufs andere Ufer gerichtet, und wie er sein Ruder mal links, mal rechts ins Wasser tauchte, so schob er auch seine kalte Pfeife vom einen in den anderen Mundwinkel. Nur seine Enkelin, die neben ihm ein zweites Ruder hielt, betrachtete die seltsame Fracht dieses Morgens. Das Kreisen des Kahns, das Plätschern der Ruder, der über den Wasser spiegel hinschauernde Windhauch, die weichen Nebel am Ufer, das Schweben der Vögel, das Blinken und Wider blinken der letzten Sterne: Alles hatte etwas Geisterhaf tes in dieser allgemeinen Stille, und niemand sprach wäh rend der Überfahrt ein Wort.
    Als Humboldt, ans jenseitige Ufer springend, den Kahn an Land zog, ging die Sonne endlich über dem Rheintal auf. Schnell wurden die Farben kräftig und die Luft wärmer, und der Zauber des Zwielichts war verflogen. Schiller wollte ihren Fährmann aus der Kriegskasse entlohnen, doch dabei fiel ihm versehentlich eine der Münzen in den Fluss. Mit einem Male war ihr greiser Fährmann außer sich.
    »Um des Himmels willen, was macht Ihr!«, rief der Alte. »Ihr bringt Unglück über mich und Euch! Der Strom kann dieses Metall nicht leiden! Holt es schleunigst wieder heraus!«
    Schiller krempelte sich den Ärmel hoch und nahm die goldene Münze aus dem trüben Rhein, doch der Fischer wollte sie nicht mehr nehmen: »Ihr müsst sie an Land vergraben, weit fort von hier, sonst lastet der Fluch des Stroms auf Euch.«
    Kopfschüttelnd gab Schiller dem Greis eine andere Münze. Der Alte säumte nicht, stieß ohne Gruß ab und fuhr mit seinen Enkeln zurück ans deutsche Ufer. Der Knabe war eingeschlafen, aber das Mädchen betrachtete die Gefährten bis zuletzt.
    Sie schulterten ihre Ranzen und folgten Humboldt ei

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