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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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nem schlängelnden Pfad steigend empor. Bald stand ihnen der Schweiß auf der Stirn. Die Ruine Rheinstein, die sie passierten, war menschenleer, aber dennoch flatterte von ihren Zinnen provokant die Trikolore. Seufzend betrachtete Arnim die geborstenen Mauern der mittelalterlichen Burg, Andenken an eine größere, längst vergangene Zeit.
    Auf dem Grat der Felswand angekommen, verschnauften die fünf und sahen ein letztes Mal auf den Rhein, der unter ihnen am Fuß des Berges die Morgensonne spiegelte.
    »Wollen Sie die Münze nicht vergraben?« fragte Arnim Schiller.
    »Einen guten Taler vergraben? Ich denke gar nicht daran. Sie wollen der Fabel des Graukopfs doch nicht etwa Glauben schenken?«
    »Ich sage nur, dass wir bei unsrer Kampagne alles Glück der Welt vertragen können und uns nicht zusätzliches Unglück aufladen sollten.« Als Schiller nicht zu lächeln aufhören wollte, setzte er etwas trotzig nach: »In den Sagen der Alten liegt viel Wahrheit verborgen.«
    Vor den Gefährten lagen nun die Ausläufer des Hunsrücks und ein strammer Marsch, denn schon am nächsten Tag wollten sie den Soonwald hinter sich gelassen und die Chaussee von Trier nach Mainz erreicht haben.
    »Bienvenu en France«, verkündete Goethe, »im Can ton Stromberg, Arrondissement Simmern, Département de Rhin-et-Moselle. – Wie fremd ist einem das Vaterland geworden.«
    Bettine schüttelte nachdenklich den Kopf. »Der Hunsrück französisch. Wer hätte das je gedacht.«
    Goethe klatschte in die Hände. » Ça, ça, nicht lang getrauert; schlagen wir uns in die Büsche, eh uns ein paar Douaniers aufstöbern.«
    Humboldt, der die Gegend von einer Reise kannte, die er in Jugendjahren mit seinem Forscherkollegen Georg Forster an den Niederrhein unternommen hatte, wurde zu ihrem Führer auserkoren. Er nahm seinen Kompass hervor, und Goethe gab ihm die Karten des Herzogs. Auf kleinen Pfaden und Wildwegen und an Bächen entlang wanderten sie Richtung Südwest, immer auf der Hut vor französischen Patrouillen, aber ob es nun an Humboldts sicherer Führung oder dem ohnehin entvölkerten Landstrich lag, trafen sie den ganzen Vormittag auf keine Menschenseele, weder Angehörige dieser noch jener Nation. Der Himmel blieb wolkenlos, ein angenehmer Kontrast zum deutschen Schneeregen der vergangenen Tage, beinahe ein Beweis der These, die Sonne lache nur den Ländern links des Rheins. Bald hatte Humboldt eine gro ße Machete hervorgeholt, um kleinere Zweige und trotziges Buschwerk in ihrem Weg zu teilen.
    Sie sprachen kaum, geschuldet der Tatsache, dass sie auf den engen Pfaden nur hintereinander laufen konnten. Goethe unternahm ein paar Versuche, mit Humboldt über den seltsamen Lebenswandel des besagten Georg Forster zu sprechen – jenes Freundes beider, der, zusammen mit anderen deutschen Jakobinern, infolge der Französischen Revolution und der Invasion französischer Truppen 1793 in Mainz die Republik ausgerufen hatte –, doch Humboldt war stets zu sehr auf den Weg konzentriert, als dass er hätte antworten können. Als Goethe unachtsam unter einem tiefen Ast hindurchlief und sein Kopf daran stieß, sodass die Wunde auf seinem Haupt sich wieder öffnete, schwieg auch er fürderhin.
    Achim von Arnim ging vor der jungen Brentano, hielt ihr Äste aus dem Gesicht und half ihr über Bäche und gestürzte Bäume. Als er anbot, auch ihren Ranzen zu tragen, überholte sie ihn kurzerhand und erwies ihm nun neckisch die Courtoisien, die er vorher ihr erwiesen hat te. Wiewohl sie ein robustes Kleid trug, war dessen Saum bald vom Unterholz eingerissen und mit Matsch bedeckt. Zuhinterst lief Schiller, der immer wieder innehielt und sich im menschenleeren Wald umsah. Von Arnim darauf angesprochen, erklärte Schiller, er fühle sich schon seit Eisenach verfolgt, glaube aber mittlerweile wie Goethe, dass ihm sein Gehirn einen bösen Streich spiele. Ohne es zu wollen, versetzte er Arnim mit seinem Verdacht in einen Zustand äußerster Wachsamkeit. Noch öfter als Schiller sah der junge Dichter nun über seine Schulter, immer bereit, Bettine, sollte es zum Ärgsten kommen, mit seinem Leben zu schützen.
    Im Tal zwischen Stromberg und Daxweiler mussten sie erstmals eine Straße überqueren. Humboldt setzte seinen Ranzen, der mit Abstand schwerste von allen, auf dem Boden ab und entnahm ihm ein Messingfernrohr. Damit suchte er das Tal in beiden Richtungen ab. Die Straße war leer. Schnellen Schrittes verließen die fünf den Schatten der Bäume und überquerten

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