Das Erlkönig-Manöver
mache.«
Goethe wollte etwas einwenden, aber sie verbot ihm den Mund.
»Keine Worte, Hans, in Worten bist du mir überlegen«, sagte sie. »Ich kenne meine Enkelin; sie vergöttert dich und ist ein launenhafter kleiner Kobold in ihren Gefühlen. Und ich weiß, wie es dir weiland Maxis schwarze Augen angetan haben und was für ein Melancholicus du damals warst, als sie sich dem Peter vermählt hat. Also, auf das Haupt deiner Mutter, deren Namen sie trägt: Verwirre ihr Gefühl nicht!«
Während sich die Kutsche mit ihren fünf Passagieren durch schmale Gassen aus der Stadt zwängte, überreichte Goethe Bettine seinen Hirschfänger und die Pistole des unglücklichen Wertherianers, damit auch sie im Falle der Gefahr nicht mit leeren Händen dastünde. Arnim hatte zwar seinen Säbel dabei, räumte aber ein, seine beste Waffe seien noch immer seine bloßen Fäuste, denn sie seien immer geladen. Zum allgemeinen Amüsement schilderte Goethe, unter welchen Umständen sie an die Pistole gelangt waren, und Bettine stimmte, als sie die Stadt durchs Taunustor verließen, mit so heiterer Stimme das Abschiedslied des Handwerksburschen an, dass man hätte denken mögen, ihr Reiseziel wäre ein Häuschen auf dem Lande und nicht einer von Napoleons dunkelsten Kerkern.
4
HUNSRÜCK
Zu des Rheins gestreckten Hügeln ging ihre Fahrt, und da der Erdboden vom Tauwetter aufgeweicht war, kamen sie nur beschwerlich voran. Die Nacht hindurch fuhren sie zwischen den Hängen des Rheingaus und den Städten unten am Fluss, und einmal, als die Wolken hinfortgeblasen waren, konnten sie über den Rhein hinweg die Lichter der französischen Festung Mainz sehen. Sosehr Boris seine Peitsche auch über den Köpfen der Pferde knallen ließ und die armen Kreaturen mit der Sprache und bei den Heiligen seiner Heimat verwünschte, erreichten sie ihr Ziel erst, als im Osten bereits wieder der Morgen graute. Eine halbe Meile oberhalb von Assmannshausen verließen die Passagiere die Kutsche auf einem steilen und unbewohnten Uferstück gegenüber der verfallenen Burg Rheinstein. Der Russe trocknete die Flanken der schnaubenden Pferde mit einer Decke, derweil die fünf Gefährten ihre Ranzen, Decken und Waffen schulterten. Der Reif knirschte unter ihren Sohlen.
»Meine Knochen sind Püree«, klagte Bettine. »Ich bin’s zufrieden, wenn ich nie in meinem Leben wieder in eine Kutsche steigen muss. Jetzt geht es auf Schusters Rappen weiter!«
»Sie werden sich schon noch nach einer Kutsche zurücksehnen, wenn Schusters Rappen erst blutig gelaufen sind«, sagte Humboldt.
Goethe und Schiller standen auf einer kleinen Erhebung und überblickten den Fluss. Zu ihnen trat jetzt der junge Arnim. Der Himmel war klar bis auf einige verblassende Sterne und Wolkenstreifen, graugelb in der Dämmerung, und der Rhein lag schwarz und schlafend vor ihnen in seinem Bett.
»Begrüßt mit mir den alten Vater Rhein«, sagte Schiller.
Goethe tat einen Seufzer, der als Wölkchen in die kal te Morgenluft ging und sich dort auflöste. »Herrlich. Große Flüsse haben doch immer etwas Belebendes. Wie ich mich freue, ihn wiederzusehen.«
»Aber wie es einen dauert, ihn unter diesen Umständen wiederzusehen«, sagte Arnim. »Ehedem Germaniens Lebensader, jetzt nur noch Germaniens Grenzhüter.«
»Und wenn es so weitergeht, hüpft der Gallier bald ganz über den duldenden Strom«, ergänzte Schiller.
»So weit lassen wir es nicht kommen.« Arnim zog sei nen Säbel. »Nimmer sollen Fremde herrschen über unsern deutschen Stamm!«
Goethe klopfte Arnim auf den Rücken. »Wacker gesprochen, mein junger Freund. Suchen wir uns also einen Kahn und setzen über ins Feindesland, eh Phöbus in seinem Sonnenwagen uns überholt.«
»Jetzt? Es ist schon fast hell. Wenn drüben am Ufer oder in der Ruine Soldaten sind?«
»Hoffen wir, dass sie noch schlafen. Wir können es uns auf keinen Fall leisten, einen ganzen Tag einzubüßen.«
Schiller wies aufs Ufer. »Dort legt ein Fischer den Nachen an.«
Tatsächlich zog flussabwärts ein alter Mann mit Hilfe zweier Kinder einen leichten Kahn mit dem Fang des frühen Morgens an Land. Schiller lief die Böschung hin ab, um den Fischer zu bitten, sie für einige Taler ans verbotene Ufer zu bringen.
Goethe dankte unterdessen Boris für seine Dienste und wies ihn an, am rechten Rheinufer gegenüber von Mainz, in Kostheim im Fürstentum Nassau, auf sie zu warten. Vom Bock wünschte der Kutscher viel Glück und bat Goethe, möglichst viele Franken
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