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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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hatte sich das Unheil durch ähnlich düstere Erscheinungen angekündigt, sagte sich die Tricanote. Er erinnerte sie an den Mann, der damals, von zwei Gendarmen begleitet, die Nachricht vom Tode eines Soldaten zu überbringen pflegte. Die Schreie der Mütter, der Ehefrauen hinter den Türen … Ein Mann in Trauer, das bedeutete selten etwas Gutes. Dieser arme Séraphin Monge hatte nun wirklich genug davon gesehen. Auf einen weiteren von der Sorte konnte er gut verzichten.
    »Madame«, sagte der Mann sanft, »ich spüre, daß Sie wohl wissen, wo er ist, und daß Sie Bedenken haben, es mir zu sagen. Wenn er alles hier dem Erdboden gleichgemacht hat, Ihr Überlebender, dann heißt das doch, daß ihm das Verbrechen, das ihm seine Familie geraubt hat, heute noch nachgeht. Vielleicht ist er sich über die Umstände immer noch im unklaren. Sehen Sie: Ich bringe ihm ein Stück Wahrheit und glaube, es wird ihm guttun, zu erfahren, was ich weiß.«
    »Die Wahrheit?« hauchte die Tricanote. Sie richtete sich auf. »Man kennt sie schon, die Wahrheit«, rief sie aus.
    »Nein«, sagte der Mann mit leiser Stimme.
    Wie angewurzelt stand die Tricanote wohl eine Minute lang stumm vor ihm. »Er wohnt in Peyruis«, sagte sie schließlich, »an dem Platz, auf dem ein Brunnen mit schweinischen Figuren steht … Es ist ein schmales Haus, mit einer schmalen Tür und drei Stufen davor und einem unten angebauten Schuppen …«
    Er dankte mit einer Verbeugung und setzte seinen Hut auf.
    Sie hörte, wie sein Schritt leiser wurde. Sie horchte auf den Wind in den Zypressen, sie belauschte ihn. Zwei Ziegen kamen heran und legten die Köpfe vertraulich auf ihre Unterarme, um sie daran zu erinnern, daß es Zeit war, zum Stall zurückzukehren. Mit einem schrillen Pfiff rief die Tricanote die Tiere zu sich. Sie stieg hinauf zum Dorf, schwitzend und keuchend, mit gerafften Röcken, um schneller gehen zu können. Sie würde die Ziegen in die Dorfstraße von Lurs treiben und rufen: »Clorinde! Komm doch mal raus! Weißt du noch … La Burlière …? Nein, du weißt eben nichts …« Aber plötzlich verlangsamte sie ihren Schritt. Nein, sie mußte das alles für sich behalten. Die arme Clorinde, wie sollte ihr der Sinn nach Schauergeschichten stehen, wo doch ihre Kleine so krank war?
    Der Mann hatte keine Mühe, das Haus von Séraphin Monge zu finden. Der Chauffeur parkte nicht ohne Murren auf dem kleinen Platz, auf dem der Wagen schwer zu manövrieren war. Der Mann stieg aus, stieg die Stufen hinauf, schlug dreimal mit der Faust an die Tür. Niemand antwortete. Er versuchte, die Tür zu öffnen, und stellte fest, daß sie nicht verschlossen war. Er zögerte eine Sekunde, machte eine schicksalsergebene Hand- bewegung und stieg die Treppe hinauf, die zur Küche führte.
    Er hielt einen Moment inne angesichts dieser bescheidenen kleinen Welt, in die einzutreten ihn niemand gebeten hatte. Er sah den vor Sauberkeit blitzenden Fußboden, den kalten Ofen, das Geschirr im Regal über dem Spülstein. Er sah den Tisch, der abgerückt von den Stühlen schief im Zimmer stand. Er ging zum Alkoven. Das Bett war gemacht, sogar sehr ordentlich gemacht, die Bettwäsche sauber, es lag nur ein Kopfkissen da. In dieser Armeleutewohnung herrschte die peinliche Ordnung eines Menschen, der darauf bedacht ist, nichts von sich selbst zu verraten, und sei es durch die Beschaffenheit des Ortes, an dem er lebt. Kein Geruch (außer vielleicht einem leichten Hauch von Bergamotte) half ihm, die Anonymität dieses Schlupfwinkels zu entschlüsseln. Keine Zeitung, kein Buch, nicht ein einziges Blatt Papier. Der Mann mußte eine Seite aus seinem Notizbuch reißen, um die Worte aufzuschreiben, die für den Überlebenden von La Burlière bestimmt waren. Als das getan war, suchte er einen gut sichtbaren Gegenstand, um damit die Botschaft mitten auf dem Tisch zu beschweren, so daß sie sofort auffallen mußte. Er fand nichts. Doch, auf dem Regal dort, neben der Bratpfanne, diese Zuckerdose da, die würde sich hervorragend dazu eignen. Er streckte die Hände aus, nahm sie herunter und fand sie ungewöhnlich schwer, aber darüber machte er sich zunächst keine Gedanken. Er schob den Zettel unter den Dosenrand, so daß er gut zu sehen war. Erst jetzt begann er sich über das Gewicht der Dose zu wundern. Er öffnete den Deckel, nahm die Papiere heraus, ohne sie zu entfalten. Er betrachtete den Inhalt, schüttelte seufzend den Kopf, schloß den Deckel wieder und verließ den Raum.
    Sein Herz

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