Das ermordete Haus
seiner Rettung beigetragen habe.
»Zum Glück hat man drei Unschuldige hingerichtet«, ergänzte Séraphin.
»Drei Trottel! Sie mußten gegen Tagesanbruch daherge- kommen sein, vielleicht waren sie schon blau. Sie hatten allerlei mitgehen lassen, Eier, Schinken, was weiß ich? Sie mußten die offene Tür gesehen haben. Beim Spülstein stand eine Korbflasche voll Schnaps. Sie diente dazu, den Fuhrleuten Bescheid zu tun. Auch die Leichen mußten die drei gesehen haben! Aber der Schnaps! Die Flasche mußte auf sie wie eine Art Köder gewirkt haben. Richtige Wilde! Die mußten über die Leichen gestolpert sein, direkt auf die Korbflasche zu. Dich haben sie vielleicht gar nicht gesehen. Und dann der Schnaps … Was für Erklärungen hätten die schon abgeben können?«
Gestikulierend murmelte er etwas, das die drei hingerichteten Herzegowiner zum Teufel schicken sollte. Séraphin betrachtete die runzlige Gesichtshaut, die verbrauchten Sehnen, deren Zuckungen das Gesicht entstellten. Die Wahrheit, die aus diesem verbitterten Mund sprach, schien in keiner Beziehung zu dem Bild des Grauens zu stehen, das ihn, Séraphin, überallhin begleitete.
»Ich habe gesagt ›zum Glück‹, doch wer weiß?« fuhr Zorme fort. »Wer weiß, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn sie mich festgenommen hätten. So habe ich all diese Jahre in Angst gelebt. Die drei da hinter dem Wagen, ich wußte ja nicht, wer das war. Wie leicht hätte alles herauskommen können: Wenn die Frau neben einem im Bett liegt oder wenn man nach einem feuchtfröhlichen Abend einträchtig in die Brennesseln pinkelt, da wird man schnell gesprächig: Komm mir nicht mit La Burlière, ich weiß, was da passiert ist. Und so, wie alle anderen glauben, war es nicht … So etwas rutscht einem leicht heraus … Ich fühlte mich durchsichtig wie Reispapier. Zum Glück machen die Leute einen Bogen um mich, wenn sie mir begegnen. Zum Glück vermeiden sie es, mich anzusehen. Noch nie, noch nie hat einer meinem Blick so hartnäckig standgehalten wie du …«
Er schwieg. Wieder lauschte er. In der Stille hörte man die Zypresse im Winde rauschen. Zorme entspannte sich und ließ den Kopf ins Kissen sinken.
»Es wird spät«, sagte Séraphin.
»Oh, ja«, sagte Zorme. »Du bist geradlinig und aufrecht und willst Bescheid wissen. Glaubst du, ich hätte nicht mehr Zeit genug, dir alles zu sagen? Als ich sah, wie du mit der Faust auf den Steinen herumgehämmert hast, wußte ich, daß du nicht aufgeben würdest. Daß du jeden Stein umdrehen würdest, um zu sehen, was darunterliegt. Also bin ich dir nicht mehr von der Seite gewichen. Ich steckte in dem Lorbeergebüsch, als du mit … mit … der Tochter von Célestat Dormeur gesprochen hast. Ich war an dem Abend da, als Bruder Calixtus kam, um dich zu holen. Und genau an diesem Abend habe ich begriffen, daß alles zusam- menspielen würde, um dich auf eine falsche Fährte zu locken.«
»Dann waren Sie es, der von dort unten nach mir gerufen hat?«
»Ja, das war ich, und ich bin dir auch bis zur Sioubert-Quelle gefolgt. Und ich habe gesehen, wie du mit der Hand über die Stelle gefahren bist, an der man früher die Sensen wetzte. Mir wurde klar, daß du etwas entdeckt hattest … Ich habe Tag und Nacht Blut und Wasser geschwitzt, während du La Burlière abgerissen hast … Ich bin durch die Trümmer gelaufen, in der Nacht, in der du den Kamin zerschlagen hast. Ich habe das Versteck gesehen, das du freigelegt hattest. Ich mußte wissen, was du gefunden hattest …«
»Dann waren Sie also dieser schwarze Schatten, der mir dauernd folgte, dessen Anwesenheit ich in meiner Küche gespürt habe?«
»Ich habe mir gesagt: Wenn er den anderen an den Hals geht, werden die meinen Namen brüllen wie Ferkel unter dem Metzgermesser. Und das werden die so lange tun, bis er ihnen zuhört. Und dann wird er herkommen. Und dann …«
»Ich bin hergekommen«, sagte Séraphin. »Zu spät. Ich werde sterben, und die Wahrheit, die kennst du jetzt. Ich konnte nicht riskieren, daß du mir keine Zeit für meine Geschichte lassen würdest. Und schließlich hättest du mir ja auch nicht glauben können.«
»Das kann ich immer noch«, sagte Séraphin.
»Warte noch, wenn du den Rest hören willst. Ich konnte das Risiko nicht eingehen. Ich wußte nicht wann, ich wußte nicht, wie du sie packen würdest. Als ich gesehen habe, wie du nach Pontradieu gefahren bist, bin ich dir gefolgt. Mit Gaspard habe ich angefangen. Der hatte es in jedem Fall verdient. Wenn
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