Das ermordete Haus
nach unten. Dabei lösten sich zwei Gegenstände von ihnen und rollten auf das Rinnsal zu. Séraphin griff nach ihnen, ließ sie in seine hohle Hand gleiten und betrachtete sie aufmerksam im Licht der Flamme. Danach wickelte er sie in sein Taschentuch und steckte es in seine Hosentasche. Er richtete sich auf und kletterte gemächlich Knoten um Knoten wieder ins Freie.
»Ich hab ihn herausklettern sehen«, sollte die Tricanote später sagen, »mehr oder weniger planlos, wie beim Hinuntersteigen. Und er hat alles am Brunnen liegenlassen, das Seil, die Schnur und die brennende Lampe. In der schrägen Sonne sah sie ganz komisch aus, fast wie eine große Altarkerze. Und dann ist er zu seinem Fahrrad gegangen und bedächtig und zögernd davongefahren. Aber wenn ich jetzt so zurückdenke, glaube ich, daß er genau wußte, wohin er wollte.« Er wußte, wohin er wollte. Der Fahrweg schlängelte sich zwischen Olivenbäumen hindurch und gab den Blick auf das Haus erst spät frei. Der Weg wurde wenig benutzt. Gnadenkraut, Beinwell und Hirtentäschel hatten sich in den Wagenspuren ausgesät und versteckten sich zwischen heimischem Mannstreu und Quecken. Man ging auf weichem Boden und stieß erst hinter der letzten Biegung auf das Haus.
Es war ein großes, quadratisches Haus mit einem Walmdach und zwei Stockwerken, deren Fensterläden fest verschlossen waren und dies offenbar nicht erst seit gestern. Links neben dem Haus ragte aus einem dichten Gestrüpp von Yuccapflanzen eine Zypresse hervor. Sie schien genauso alt wie die von La Burlière und überragte den Dachstuhl. Ihre vom Wind bewegte Spitze malte mit kurzen, präzisen Pinselstrichen im Blau des Himmels. Nur im Erdgeschoß des Hauses schien es Leben zu geben; die Läden von drei angelehnten Fenstern standen offen. Ein in Form eines Akanthusblatts ausgeführter Schlußstein schmückte den Giebel der weit geöffneten Tür. Ein altes Fahrrad mit Gepäck- träger war gegen die Mauer gelehnt, sehr schräg, offenbar in großer Eile abgestellt.
Séraphin stellte sein Fahrrad an den Stamm der Zypresse. Er blieb unbeweglich stehen und betrachtete die Vorderseite des Hauses. Die Tür war mit einem Jutevorhang verhängt, der sich im Wind bewegte. Im Schutz dieses Vorhangs konnte man von innen alles sehen, was sich auf dem Weg abspielte. Für den von draußen Kommenden blieb der Vorhang hingegen undurchsichtig wie ein Orakelspruch.
Séraphin näherte sich dem Eingang und schob den Vorhang beiseite. Die Tür dahinter stand offen, und man sah, daß sie nie geschlossen wurde, denn hinter der Ecke des Türrahmens hatte sich Löwenzahn ausgesät. Eine dunkle und modrig riechende Treppe lag der Tür gegenüber. Links neben dem Eingang befand sich eine in die tragende Wand gebrochene Tür. Séraphin hob die Schließe an und stemmte sich gegen die Tür, die mit ächzenden Angeln widerwillig nachgab und dabei über die Fliesen schleifte.
Er trat in einen großen, kalten Raum, in dem im Laufe der Zeit ein Sammelsurium von Gegenständen des täglichen Gebrauchs griffbereit zusammengetragen worden war. Sein Licht erhielt der Raum von den drei Fenstern mit den geöffneten Läden an der Vorderseite des Hauses. Vor dem dritten Fenster hing ein dichter Vorhang, so daß man den hinteren Teil des Zimmers schlecht erkennen konnte. Den ruhenden Pol in diesem Durcheinander bildete ein Kamin mit einem Wappen auf dem Rauchfang, auf dessen Sims (und das gehörte zu den Dingen, die zuerst ins Auge fielen) ein einzelner Bilderrahmen stand, der mit einem schwarzen Tuch verhüllt war.
Séraphin ließ seinen Blick über alles streichen, was da war. Am hintersten Ende des Raums sah man in eine kalte Küche, aus der alles Leben geschwunden war. Er sah einen großen Schreibtisch, um den alles herumlag, was im Laufe der Jahre von dort heruntergefallen sein mußte, alles, was zur Seite geschoben worden war, um Platz für neue Errungenschaften zu schaffen. Er sah einen Haufen Asche im Kamin, der von einem kräftigen Feuer zeugte, das nun am Erlöschen war. In einer entfernten Ecke konnte er im Halbdunkel hinter einem zerlumpten grünen Vorhang ein Bett ausmachen.
Alles in dieser weiträumigen Gruft kündete von dem Unglück, das sich hier seit langem niedergelassen hatte. Das Kaminfeuer, so stark es auch sein mochte, konnte doch nie die Kälte vertrei- ben. Die Sonnenstrahlen, die mühsam das Geheimnis der Fenster durchdrangen, spiegelten sich freudlos in den roten Fliesen. An den Wänden hingen Bilder mit
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