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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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sah, wie das Messer in den Fingern des Sterbenden zitterte.
    »Ich habe ihn zu mir hin gerissen. Ich habe mit dem tranchet auf ihn eingestochen. Ich habe ihn nicht richtig getroffen. Wir haben gekämpft. Er hat mich gegen die Wand gestoßen. Ich bin hingefallen. Wenn ich dabei nicht den Spieß erwischt hätte, wäre ich nie mit dem Monge fertig geworden. Niemals. An diesem Abend war er wie ein Stück aus rotglühendem Eisen, der Monge. Und sogar als ich ihm den Spieß schon in den Körper gerammt hatte, beschimpfte er mich noch. Es schien, als wolle das Leben ihn einfach nicht verlassen. Ich war darauf gefaßt, daß es aus ihm heraustreten, seinen Körper sterben lassen und sich neben ihn stellen würde, um mich anzuspucken … Um mich mit körperlosen Armen zu schlagen … Um mich in Wolken von Geifer ersticken zu lassen, und all das nur, um …« »Ja, warum?« fragte Séraphin.
    »Warum, warum? Ständig wollt ihr alle wissen, warum! Weiß ich vielleicht, warum? Die Angst. Wir machen uns gegenseitig angst. Ich für meinen Teil habe nach diesem Ereignis vierundzwanzig Jahre lang Angst gehabt.«
    »Warum?« Zormes Augen wichen dem aufmerksamen Blick Séraphins aus wie die Luftblase in einer Wasserwaage, die man gerade auszurichten versucht.
    »Er konnte mich nicht leiden«, murmelte er. »Er glaubte, ich brächte Unglück.«
    »Aber warum meine Mutter? Meine Brüder? Warum ich? Sie haben ja selbst gesagt …«
    Zorme nickte mehrmals mit dem Kopf. »Ja, du! Ich habe dich aus seinen Händen gerissen. Drei Zentimeter war die Klinge von deinem kleinen Hals entfernt. Der hätte dir glatt den Kopf abgeschnitten.«
    »Aber warum?«
    Zorme zögerte mit der Antwort. Er war voll gespannter Aufmerksamkeit. Sein Blick war fast rechtwinklig zur Seite gerichtet, und er horchte in die gleiche Richtung. Séraphin hatte den Eindruck, als höre man draußen Motorengeräusch.
    »Denk nur nicht, daß du es von mir erfahren wirst«, fuhr Zorme fort, »ich hatte schon genug damit zu tun, heil aus dieser Sache herauszukommen. Wer hätte mir geglaubt? Mir, der ich ganz allein war, mit fünf Toten neben mir, mit meinem schlechten Ruf und dem Spieß und dem Messer mit meinen Initialen. Man hätte verrückt sein müssen, um mir zu glauben! Ich wäre mit allem Tamtam auf dem Schafott gelandet, zur Begeisterung der ganzen Gegend!«
    Das Dudelsackpfeifen in seiner Brust wurde schriller und schnitt ihm das Wort ab. Nach einer Weile fuhr er fort: »Also bin ich raus zum Brunnen und habe die beiden Messer hinein- geworfen. Das von Monge hätte ich eigentlich liegenlassen können. Ich weiß nicht, warum ich es auch reingeworfen habe.« »Man hat mir berichtet. Sie hätten dabei geweint …« murmelte Séraphin.
    »Wer hat dir das gesagt?« Mit einem Mal war Zorme in sich zusammengefallen wie eine entspannte Feder. Er stützte sich gegen sein Kopfkissen.
    »Wer hat dir das gesagt?« wiederholte er mit kräftiger, fast drohender Stimme.
    »Was ändert das?« fragte Séraphin. »Ich bin in den Brunnen gestiegen, ich habe die beiden Messergriffe gefunden … Was spielt das für eine Rolle, von wem ich es weiß?«
    Diesmal versuchte Zorme nicht, seinem Blick auszuweichen, im Gegenteil, er hielt ihn aus, er suchte ihn sogar, aber Séraphin sah sehr wohl, daß er dabei die Fäuste geballt hatte.
    »Du hast recht«, sagte Zorme, »aber das mit dem Weinen beruht auf einer Täuschung. Ich habe nicht geweint, in meinem ganzen Leben nicht. Ich hatte Angst, das ist nicht das gleiche.« »Aber vor wem hätten Sie Angst haben sollen?«
    Zorme kaute mühsam seinen Speichel, der zähflüssig wie Mörtel geworden war. Er begann wieder Séraphins Blick auszuweichen.
    »Ich werde dir alles erzählen«, kündigte er an, »und du wirst es dann den Gendarmen berichten. Gleich danach, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzulassen … Also hör zu: Als ich mich vom Brunnen wegdrehte in dieser Nacht, habe ich drei Männer hinter den zerbrochenen Rädern eines Langholzwagens gesehen. Oh, sie dachten, sie wären gut versteckt! Und dabei glänzten sie im Mondlicht wie eine Schlangenhaut im Gras. Nur ihre Gesichter habe ich nicht sehen können. Sie trugen Imkerhüte. Aber mich, mich konnten sie genau sehen. Unmöglich, daß sie mich nicht erkannt haben. Wie ein Hase bin ich davongehoppelt, die Angst im Nacken. Ich habe mich hier versteckt gehalten und auf die Gendarmen gewartet. Aber zum Glück, zum Glück …« Er vermochte nicht zu sagen, welch glückliches Ereignis denn nun zu

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