Das ermordete Haus
sie ihn in jener Nacht nicht umgebracht haben, den Monge, dann nur, weil ich das vor ihnen erledigt hatte. Ich habe ihnen einen großen Dienst erwiesen.«
Unvermittelt verstummte er. Ohne den Kopf zu drehen, richtete er den Blick zur Seite zu einem angelehnten Fenster, dessen Geheimnis vom Windhauch gelüftet wurde.
»Wer belauscht mich da?« grummelte er. »Außer dir habe ich niemanden erwartet.«
»Das ist der Wind in der Zypresse«, sagte Séraphin.
»Du warst es, der mich auf den Gedanken gebracht hat. Ich habe dich gesehen, wie du mit der Hand über den Rand des Beckens strichst, als ob er dir nicht glatt genug wäre … Und ich habe dich auch an einem Morgen im dichten Nebel nachdenklich vor dem Wehr des Gerinnes bei Didon Sépulcre stehen sehen. Du bist dann zur Mühle zurück und hast durch das Fensterchen geschaut.«
»All das habe ich wirklich getan …« flüsterte Séraphin.
»Ja«, sagte Zorme, »aber alles übrige habe ich erledigt.«
»Sie haben Charmaine vergessen. Denn die Hunde haben doch wohl Sie freigelassen?«
»Ach ja«, seufzte Zorme, »die Hunde, die Natur, die Menschen, ich kannte sie in- und auswendig … Ich konnte mit den Käuzchen, mit den Dachsen reden. Ach ja, die Dachse! Stundenlang haben sie mir auf den Hinterpfoten sitzend zugehört … Mit den Hunden konnte ich natürlich erst recht reden …«
»Charmaine hatte Ihnen nichts getan.«
»Sie hatte mich gesehen. Oh, nur für einen kurzen Augen- blick! Sie hat mich für dich gehalten, nachts im Park. ›Séraphin!‹ hat sie gerufen.«
Er ahmte Charmaines Stimme täuschend ähnlich nach. Séraphins Herz krampfte sich zusammen.
»Und irgendwann wäre ihr das wieder eingefallen«, sagte Zorme. »Sie hätte mich beschreiben, mir irgendwo begegnen und mich wiedererkennen können … Wer weiß? Dieses Risiko konnte ich nicht eingehen.« Er verzog das Gesicht zu einem Grinsen. »Da gibt man sich so viel Mühe, seine Haut zu retten, und dann das, sieh mich an …«
Séraphin wandte seinen Blick ab und entfernte sich vom Bett. Ratlos ging er in dem riesigen Zimmer auf und ab. Das also war die Wahrheit, die ihm solche Schmerzen bereitet hatte. Ein Mann tötet in einem Anfall von Wahnsinn seine Familie. Einem anderen Mann bleibt nichts anderes übrig, als den ersten seinerseits umzubringen, um ihn, Séraphin, in seiner Wiege zu retten.
Er war vor dem großen Tisch stehengeblieben, der als Ablage diente und eine ganze Ecke des Raums einnahm. Er betrachtete ihn, ohne ihn wirklich wahrzunehmen, und sagte sich dabei, daß er als Sohn eines Mörders und Abkömmling einer Familie von Mördern nicht das Recht habe, irgend jemanden zu verurteilen. Das Skelett auf dem Grund des Brunnens lastete auf seinen Schultern, als ob er es zusammen mit allen übrigen Dingen nach oben ans Tageslicht gebracht hätte.
Gedankenlos starrte er auf das Durcheinander auf dem Schreibtisch: höchst ungewöhnliche Dinge, die sich hier schon seit Jahren stapeln mußten. Einige waren verstaubt, andere sauber. Dinge, an denen man den Lauf der Zeit ablesen konnte: Sanduhren, dicke Taschenuhren, deren Gehäuse durch all die rauhen Finger, durch die sie gegangen waren, abgegriffen waren. Auf verstreut herumliegenden Stichen waren menschliche Körper zu sehen, deren Betrachtung Unbehagen bereitete, denn trotz ihrer geöffneten Augen sah man gleich, daß es sich um Tote handeln mußte. Vergilbte Fotos zeigten hoheitsvolle Matronen oder listige Greise. Taschenmesser, Kragenknöpfe, abgegriffene Eheringe, kleine Handspiegel, Haarlocken in einem Medaillon, fingerlose Handschuhe, Monokel: Es war, als ob ein Dutzend Leute hier ihre Taschen umgestülpt hätten, bevor sie zu Bett gingen. Überragt wurde dieser Wust von einer Porzellankachel, auf der eine Windrose zu sehen war, und von einem Sextanten, der einstmals in das Kompaßhäuschen eines Segelschiffs gehört hatte.
Von diesem wüsten Durcheinander hob sich eine leere, weiträumige und peinlich saubere Fläche ab, die sich vor einem durchgesessenen Strohsessel erstreckte, der den Eindruck vermittelte, daß hier jemand regelmäßig in Gedanken versunken zu sitzen pflegte. Auf diesem saubergefegten Platz standen, der Größe nach geordnet, einige Glasbehälter von unterschied- lichster Form, die in trüben Farben schillerten. Vor ihnen befand sich etwas, das nicht hierhergehörte, ein für die Wohnung eines alten Junggesellen höchst unpassender Gegenstand. Es war ein Puppengitterbett aus Nußbaumholz, einem echten Bett
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